Achtung, Frau am Steuer!

Mit ihrem Buch „Generation Ally“ wurde Katja Kullmann bislang lediglich als Trittbrettfahrerin kritisiert. Dabei überbrückt ihr Bestseller erfolgreich die Kluft zwischen den Frauengenerationen

von HEIDE OESTREICH

Eine Runde im Interviewkarussell der Gesellschaftsressorts war der Autorin sicher, so clever hatte der Eichborn Verlag den Bestseller „Generation Ally“ von Katja Kullmann präsentiert. Schamlos auf das Trittbrett von Florian Illies’ „Generation Golf“ gesprungen und als Sequel für die weibliche Zielgruppe eingetütet und – Bingo, hat geklappt. Seit Februar steht „Generation Ally“, das mit der namensgebenden Fernsehserie „Ally McBeal“ gar nicht viel zu tun hat, auf den Bestsellerlisten, und irgendwie hat jeder schon mal das Cover (in Pink) mit Handtasche (in Bleu) gesehen: Ach das!

Die meisten Rezensentinnen aber haben gleich klar gemacht, was von Kullmanns kleinem Rückblick auf die weibliche Sozialisation in der westdeutschen Mittelschicht zu halten ist. Während Männer das Buch mit zurückhaltender Neugier bedachten, hatte etwa die Zeit-Rezensentin, die die Generationen doch bitte gerne selbst definieren möchte, nicht viel übrig für „Generation Ally“: „Sterbenslangweilig“ sei der erneute Rekurs auf Achtzigerjahre-Gemeinsamkeiten und überhaupt: Wer nur „ichichich“ sagen könne, dürfe das Generationen-Wir schon mal gar nicht benutzen.

Frau Kullmann stört das selbstverständlich nicht, sie zieht durch die Talkshows und erläutert den spezifischen Schmerz der Frau von 30 Jahren, der gern in Sätzen gipfelt wie: „Wir haben dazu keine Meinung.“ Soll heißen: An gesellschaftspolitischen Forderungen von der Sorte „Was wir jetzt brauchen …“ ist Frau Kullmann definitiv nur mäßig interessiert.

Trotzdem ist ihr Buch auf eine quasi unbeabsichtigte Weise bemerkenswert. Seine Position sowohl im Generationendiskurs als auch im feministischen Diskurs könnte sogar markant sein, würde es in diesen Gefilden nicht als tendenziell „seichter Bestseller“ gelabelt und entsprechend ignoriert.

Zunächst hat sich, ganz nebenbei, zum ersten Mal eine Frau in das populäre Generationengerede eingeschrieben: Der Generationendiskurs von 68 über 78, X, 89, Berlin, @ bis Golf war bisher durchweg männlich: Der Vater/große Bruder musste gemordet werden, und zwar mit Gebrüll. Die Damen standen am Gesprächsrand rum, machten ab und an sarkastische Bemerkungen und gemeindeten sich später unauffällig in die Generation Berlin ein, in der man einige wenige weibliche Gesichter ausfindig machen konnte. Kullmann dagegen nimmt ungeniert die weibliche Zielgruppe ins Visier.

Zudem hat sie sich zwar an Florian Illies gehängt, dabei aber das bessere Buch geschrieben. Wo Illies den Generationenkonflikt als Pointenjagd inszenierte, hat Kullmann erfolgreich seinen Gründen hinterhergespürt.

Und schließlich hat sich mit Kullmann eine aus der Töchtergeneration des Feminismus aus der Deckung gewagt. Denn das Gespräch unter und über Frauen, der feministische bis postfeministische Diskurs, findet nach wie vor in einer Nische, irgendwo zwischen Universität, Kunstkontext und Kneipe statt. Was dagegen in der breiten Öffentlichkeit betrieben wird, beschränkt sich auf die Beschwörung der Superweiber und die Denunziation des Altfeminismus.

Denn in der Ablehnung der Old-School-Emanzen sind sich alle einig: Die älteren Damen und ihre oft erschreckend komplett geschlossenen Weltbilder sind peinlich. Unter der Haube des Feminismus mit seinen Abgrenzungsritualen („Nur für Frauen!“) hat sich zu viel Prüderie versteckt, zu viel Angst vor Männern, zu viel Opfergestus: Das Erbe mag niemand antreten.

Aber noch nicht mal das wird laut gesagt: Das Bashing ihrer Müttergeneration überlassen die jungen Superweiber misogynen Männern. Sie selbst schlagen sich auf die vermeintlich sichere Seite der Affirmation und haben nichts Besseres zu tun, als den männlichen 78ern ff. beim Verarbeiten ihres Frauenbewegungstraumas zu helfen. Das ist nicht schwer: Man hat sie schon gewonnen, wenn man nicht auf drei Orgasmen Vorsprung besteht und bei ihren ersten zaghaften frauenfeindlichen Witzen gönnerhaft mitlacht. „Wenn ich ein Vorspiel gewollt hätte, hätte ich es gesagt“, lautet der Werbespruch dazu.

Es ist nach wie vor leicht, den Feminismus als Ganzen niederzumachen: Er hat sich nie wirklich reformiert. Dafür hätte es vielleicht doch einiger der ach so männlichen Schaukämpfe bedurft. Dass also jemand einen weiblichen Generationendialog ins Zentrum der Bestsellerlisten rückt, ist neu. Und es gelang nur, weil Kullmann die Letzte ist, die das aus politischen, gar feministischen Gründen täte. Anstatt die Frauenbewegung mit großer Geste zu verabschieden oder erneut herbeizurufen, bietet Kullmann nicht mehr als eine subjektive Bestandsaufnahme. Sie misst sowohl den Feminismus als auch ihren Alltag schlicht an ihrem eigenen Glücksanspruch.

Was die Autorin – versteckt unter einigem Lifestyle-Klimbim – liefert, ist eine ruhige und unpolemische Erklärung dafür, warum zwischen den Frauengenerationen ein kommunikativer Graben liegt. Die nachgeborenen Profiteurinnen der gesellschaftlichen Modernisierung und der Frauenbewegung fanden die Welt nicht so schlecht eingerichtet, wie die alten Kämpinnen es zwecks Aufrechterhaltung ihres Lebenssinnes immer noch postulierten. In ihrer Jugend war die Geschlechterdoktrin nach Kullmanns Wahrnehmung eher umgekehrt: Machte Doris Dörrie sich über Männer lustig, tanzten die Mädchen zu „Material Girl“ Pogo. In der 80er-Pop-Kultur gab es keinen sexistischen HipHop und keinen Eminem, dafür androgynen New Wave, den kajaläugigen New-Romantic-Limahl und Boy George, der vielleicht doch lieber eine Frau sein wollte.

„Unsere Mütter bemühten sich verzweifelt darum, neben dem Haushalt noch ein bisschen an sich selbst zu denken. Wir dagegen hatten zu keinem Zeitpunkt vor, jemals nicht an uns selbst zu denken“, beschreibt Kullmann den Ich-Feminismus ihrer Generation. Dem zeitgenössischen Altfeminismus, dem sie ohnehin erst an der Uni begegnete, konnten die Durchstarterinnen dementsprechend wenig abgewinnen: „Wir wollten unser Leben selbst in die Hand nehmen und lehnten FürsprecherInnen ab. Wir wehrten uns gegen die Behauptung, dass wir Probleme hätten. Das beleidigte uns.“ Weder Debatten um das große „I“ noch der in manchen Femi-Kreisen gepflegte Männerhass und selbstverständlich schon gar nicht „das Styling“ der Frauenbewegten kamen bei dieser „Generation“, die natürlich auch nur ein bestimmtes, aber nicht unmaßgebliches Milieu ist, an. „Allenthalben war von starken Frauen die Rede, und es stand außer Zweifel, dass wir uns zu ihnen zählten“, so Kullmann. Und: „Frauenpolitik kam uns in ihrer Gesamtheit wie ein Pups vor, da doch viel Größeres auf und wartete: die Weltwirtschaft, die totale Selbstverwirklichung.“

Auch von der berühmten Diskriminierung in der Arbeitswelt bemerkte zumindest das Kullmann-Milieu nicht besonders viel: Sie konnten es sich locker leisten, gegen die Quote zu sein, denn sie profitierten von der inoffiziellen Quote: Ein paar junge Frauen im Programm zu haben ist in bestimmten Unternehmenskreisen einfach schick. So weit, so easy.

Doch im Gegensatz zum Rundum-wohl-fühl-Illies-Universum ist in Kullmanns heile Karrierefrauenwelt das nicht ganz so schöne Erwachsenenleben eingetreten. Irgendwann hat der androgyne Lebenslauf ein Ende und die biologische Uhr macht auf die Tatsache aufmerksam, dass man nicht nur jung und hip ist, sondern Frau. Und die entdeckt, dass das Leben nicht so spielt, wie Allegra es fotografiert hat. Der Mann, der nicht nur samstags eine Alibischürze trägt und vielleicht auch noch Kinder erziehen möchte, stellt sich seltsamerweise nicht ein. Kullmann muss eine nicht ganz taufrische Feststellung treffen: „Der Geschlechterkampf hat sich ins Private verlagert.“

Da, wo es wirklich schwierig wird, ist der Ich-Feminismus am Ende. Wo die gesellschaftlichen Wellen der alten Frauenbewegung sie nicht mehr tragen, versagt diese Gruppe. „Dann mache ich es doch lieber selber“, seufzt Kullmann über den liegen gebliebenen Haushalt – genau wie ihre siebtelemanzipierte Mutter, die ihre Selbstverwirklichung in den Volkshochschulkurs verlagert hat. Die Karriere reicht genau bis zum biologischen Scheitelpunkt, an dem sich die Kinderfrage stellt. Entscheidet man sich für Kinder, ist sie mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit beendet. Und plötzlich sieht das Rollenangebot gar nicht mehr so attraktiv aus: Luder mit Geschäftssinn, Karrierefrau ohne Familie oder Mama mit Halbtagsjob, die in den eigenen vier Wänden „ein bisschen herumbestimmen“ kann.

Eine banale Erkenntnis, gewiss. Aber eine, die auf Bestsellerniveau, wo zuletzt Superweiber und Böse Mädchen das Terrain beherrschten, noch nicht formuliert wurde.

Das Ansetzen bei der eigenen Befindlichkeit galt mal als feministisches Nonplusultra. Kullmann, die von dieser Art Feminismus nur noch das Glücksversprechen „totale Selbstverwirklichung“ kennt, zeigt ziemlich genau, wie weit man damit kommt: Mehr als alle Strukturanalysen ist subjektiver Leidensdruck Ausgangspunkt aller Veränderungswünsche. Aber Kullmann muss feststellen, dass „wir in unserer schicken Verklemmung verharren“, weil „Aufruhr nicht ins Selbstdesign“ passt, während an der nächsten Ecke schon eine weniger abgrenzungsbedürftige „Generation“ wartet. Die Viva-Moderatorin Charlotte Roche personifiziert für sie die „kleinen Schwestern“, die unverständlicherweise laut äußern, dass sie Macho-HipHop Scheiße finden und sich sogar freiwillig Feministin nennen. „Könnte es sein, dass wir etwas verpasst haben?“, fragt Kullmann. Weiter als bis zur Erfindung des Slogans „Feminismus müsste wieder sexy sein“ wird sie erklärtermaßen nicht kommen.

Das Erstaunliche an „Generation Ally“ liegt zweifelsfrei nicht in seiner Agitationskraft, sondern im Brückenschlag: Das Buch füllt das kommunikative Loch, das zwischen Alice Schwarzer und Verona Feldbusch klafft – auf eine Weise, die in der nichtfeministischen Öffentlichkeit angekommen ist. Aus der heilen Welt der Frauenzeitschriften guckt ein unglückliches Gesicht. Es zu zeigen ist heute ein geradezu politischer Akt.