Das Spiel, Farbe zu bekennen

Heute entscheidet der Suhrkamp Verlag, ob er den neuen Roman Martin Walsers druckt. Eine Ablehnung kommt einer Opferung des Autors gleich

In diesem Herbst wird übrigens ein Buch herauskommen mit dem interessanten Titel: „Die Kunst, unglücklich zu sein“. Ein möglicherweise nützliches Werk, und zwar nicht allein bei Liebeskummer und anderem Herzeleid. Man möchte den Mitarbeitern des Frankfurter Suhrkamp Verlages raten, sich dieses Buch, das bei der Konkurrenz, im Argon Verlag, erscheint, schon einmal vorab zu bestellen.

Denn dass sie sich in absehbarer Zeit in einer Situation wiederfinden, in der sie nicht unglücklich sind, das kann man sich derzeit nicht recht vorstellen. Das ehrwürdige Verlagshaus sieht sich in diesen Tagen in eine No-win-Situation gestellt. Nach heftigen Querelen soll nun heute, so ist es angekündigt, über etwas entschieden werden, was eigentlich längst entschieden war: ob der neue Walser-Roman „Tod eines Kritikers“ bei Suhrkamp erscheinen wird oder nicht.

Für diesen Fall, dass ein Buch bereits von den maßgeblichen Gremien eines Hauses angenommen war, dann aber in der öffentlichen Debatte ins Zwielicht geriet, gibt es ein historisches Vorbild: 1983 wurde Rainer Werner Fassbinders Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ nach Protesten der Frankfurter jüdischen Gemeinde druckfertig wieder aus dem Verlagsprogramm gekippt. Siegfried Unseld hatte damals selbstverständlich das letzte Wort.

Doch der Patriarch des Hauses steht diesmal als letzte Entscheidungsinstanz nicht zur Verfügung; er ist schwer erkrankt. Was nun ansteht, ist die erste große Entscheidung der Nach-Unseld-Ära; und nach allem, was man hört, steht der Verlag dabei vor einer Zerreißprobe. Auf der einen Seite der Verlagsleiter Günter Berg, er hält fest zu Walser und wird mit dem Satz zitiert, der Ansemitismusvorwurf gegen den Autor sei „absurd“.

Auf der anderen Seite steht wohl der neue Stiftungsrat um Jürgen Habermas, Hans Magnus Enzensberger, Adolf Muschg und Alexander Kluge; zumindest Jürgen Habermas soll vehement gegen eine Veröffentlichung sein. Wobei sich gestern Ulla Berkewicz, die einflussreiche Frau Siegfried Unselds, in einem Radiointerview ausdrücklich hinter Günter Berg gestellt hat: Er entscheide allein über die Walser-Veröffentlichung, sie werde jede seiner Entscheidungen mittragen, außerdem habe sie gegenüber Verlagsmitarbeitern die Meinung vertreten, Walsers Roman sei nicht antisemitisch.

Ein Machtspiel innerhalb des Hauses und zwischen Verlag und seinen verdienten Autoren, natürlich. Aber eins mit erheblicher Außenwirkung auch über die Verlagsbranche hinaus. Man darf sicher sein, dass heute die gesamte Kulturszene angestrengt nach Frankfurt blicken wird – wobei es allerdings gar nicht so sehr um die Frage gehen wird, ob Martin Walsers Buch nun antisemitisch ist oder nicht. Das ist aber eine Frage, die Leser erst entscheiden können, wenn das Buch veröffentlicht ist.

Es will ja auch niemand in den Geruch der Zensur kommen. Marcel Reich-Ranicki selbst, der am meisten Betroffene, hat, wie er in einem Fernsehinterview sagte, gegen eine Veröffentlichung gar nichts einzuwenden –„Warum denn nicht?“ –, nur eben solle sie nicht bei Suhrkamp geschehen. Klingt spitzfindig, aber genau auf diese feinen Unterschiede kommt es in dieser Situation an. Sie entfalten eine grobe Wirkung. Eine Ablehnung Walsers durch den Suhrkamp Verlag kommt einer Opferung dieses Autors gleich. Auch seine noch kommenden Romane würden, egal welcher Verlag nun die Veröffentlichung besorgt, nur noch im Modus des Verdachts gelesen werden.

Was immer man von Walser im Allgemeinen und seinem neuen Roman im Besonderen halten mag: Das der Debatte von der FAZ aufgezwungene Spiel, Romane zunächst nicht sorgfältig auf ihre literarische Qualität hin zu lesen, sondern sofort hinsichtlich ihrer politischen und moralischen Aspekte Farbe zu bekennen, hätte dann gesiegt. DIRK KNIPPHALS