Raus aus der Bio-Nische

Verbraucher-Staatssekretär will Leistung der Ökobauern stärken. „Prinzip ‚klein und kuschelig‘ funktioniert nicht.“ Suche nach Nitrofen-Quelle geht weiter. Kritik aus Belgien

BERLIN taz ■ Im Zuge des Skandals um vergiftetes Biogetreide aus Deutschland nimmt die Unruhe im Ausland zu. Die belgische Gesundheitsministerin Magda Alvoet beschwerte sich gestern deutlich über die „konfuse Informationspolitik“.

Am Nachmittag listete Alexander Müller, Staatssekretär von Verbaucherministerin Renate Künast (Grüne), detailliert auf, welche Lieferungen aus Deutschland ins Ausland gegangen sind. Verkauft wurde möglicherweise belastetes Geflügelfleisch unter anderem nach Holland, Belgien, Österreich und Dänemark. In keiner Lieferung sei aber bisher das illegale Pflanzenschutzmittel Nitrofen nachgewiesen worden, sagte Müller. Trotzdem habe das Berliner Ministerium alles getan, um alle Exporte dingfest zu machen, bevor sie in den Verkauf kommen, so Müller.

Bei der Suche nach möglichen weiteren Quellen für die Belastung mit Nitrofen rechnet Künast mit Ergebnissen zu Beginn der kommenden Woche. Bisher gilt ein Getreidelager in Malchin, Mecklenburg-Vorpommern, als Verursacher. Insgesamt sind laut Angaben des Verbraucherministeriums zur Zeit 73 Betriebe gesperrt. In konventionell hergestellten Lebensmitteln konnte Nitrofen bislang nicht nachgewiesen werden.

Währenddessen hat Künasts Staatssekretär Matthias Berninger (Grüne) davor gewarnt, die Öko-Landwirtschaft als Folge des Nitrofen-Skandals wieder in ihre alte Nische zurückzudrängen. Gegenüber der taz bekräftigte Berninger die Strategie, Bio-Lebensmittel in den großen Supermärkten und Kaufhäusern durchzusetzen, um den Absatz zu steigern. Weit über die Hälfte der Bevölkerung würden sich gerne biologisch ernähren, sagte der Staatssekretär.

„Wer die Bio-Landwirtschaft klein hält, verschenkt einen Wachstumsmarkt“, so Berninger. Um die steigende Nachfrage zu befriedigen, müssten sich die Ökobetriebe allerdings umorganisieren. „Das Prinzip ’klein und kuschelig’ funktioniert dann nicht mehr.“ Die Menge der produzierten Nahrungsmittel müsse stark zunehmen. Außerdem seien die Ökobetriebe gezwungen billiger zu produzieren, um den Preisunterschied im Vergleich zu konventionellen Produkten zu verringern, sagte Berninger.

Als Schritt in die Richtung einer modernen Bio-Landwirtschaft nannte der grüne Staatssekretär die Produktion von „Mischfutter nach Ökostandard“. Es sei unrealistisch, dass die Biobetriebe darauf beharrten, nur solches Futter zu verwenden, das sie auf ihren eigenen Flächen anbauten. Sie müssten andere Futtermittel von Unternehmen ihres Vertrauens dazu kaufen, um ein schnelleres Wachstum des Geflügels zu erreichen. Berninger plädiert für die Ausweitung kontrollierter Produktionsketten von den Futterherstellern bis zu den Biobauern. Außerdem sollten die Biohöfe Erzeugergemeinschaften bilden, um mit größerer Marktmacht einen Fuß in die Supermärkte zu bekommen. Die Produktion der Futtermittel müsse aber komplett ökologischem Standard entsprechen, sagte der Grünen-Politiker.

HANNES KOCH