Alles abschaffen

Frankfurt streitet ums TAT und William Forsythe. Dem Sparwillen der Lokalpolitiker steht nur noch der weltweite Ruf des Ballettchefs entgegen

von FLORIAN MALZACHER

William Forsythe ist ein mathematikbesessener Spieler. Stellt Gleichungen auf, Formeln und Funktionen, ob es nun um Bewegungsabläufe und Raumaufteilungen geht oder um die Frankfurter Kulturpolitik: (TAT) x 2 = MT (TAT x[1]) zum Beispiel erklärt das Verhältnis vom Theater am Turm (TAT), dem Künstlerhaus Mousonturm und ihm selbst. Auch jenseits der Mathematik ist seine Argumentation komplex, klar und opak zugleich, nicht restlos entschlüsselbar, im Ergebnis aber stets spielerisch und leicht. Und genau so sind seine Choreografien, die ihre Herkunft aus der Neoklassik deutlich zeigen, zugleich aber das Ballett revolutioniert und neu definiert haben.

Mit mathematischen Formeln und einer „buddhistischen Gelassenheit“ betrachtet Forsythe auch den absurden Streit mit der Stadt Frankfurt um seine Vertragsverlängerung, nachdem Politiker von CDU, SPD und teilweise auch der FDP plötzlich hinter vorgehaltener Hand lautstark von einem möglichen Gastspielbetrieb und der Sehnsucht nach klassischem Repertoire zu reden begannen.

Natürlich steht im Vordergrund die Diskussion ums Geld, und tatsächlich steht der Frankfurter Haushalt unter einem extremen Konsolidierungsdruck. Doch das finanzielle Argument relativiert sich schnell, da nach Abzug aller weiter bestehenden Kosten (zum Beispiel für die Zentralen Dienste der Städtischen Bühnen), aller weiter laufenden Verträge und der hohen Eigeneinnahmen durch weltweite Gastspiele unterm Strich nicht allzu viel übrig bliebe. Vielmehr schwingt im Sparvorwand der Versuch eines konservativen Rollbacks mit: Längst muss sich kein Kulturpolitiker mehr schämen, unverhohlen klassisch-museales Ballett zurückzufordern. Hübsch soll die Kunst sein, nicht weh tun und geeignet erscheinen für schöne Abendgarderobe.

Dabei ist der Fall Forsythe besonders gefährlich: Denn das Frankfurter Ballett ist nicht nur bei der internationalen Kritik und einer eingeschworenen Gemeinde beliebt. Es wird von vielen Firmen als durchaus relevanter Wirtschaftsfaktor gesehen, ist ein Exportschlager, weltweit mit Preisen ausgezeichnet. Das Verhältnis von Eigeneinnahmen und Gesamtetat ist ungewöhnlich gut.

Die Abwicklung einer solchen Institution wäre ein Präzedenzfall: Wer das Frankfurter Ballett abschaffen kann, der kann künftig alles abschaffen.

Zum Beispiel das traditionsreiche TAT, um das es bei diesem Streit schließlich auch geht. Forsythe hat die Intendanz des Hauses 1999 übernommen, die künstlerische Leitung für den Part experimentellen Sprechtheaters aber in die Hände der Regisseure Tom Kühnel und Robert Schuster gelegt. Dass die beiden es in drei Jahren nicht schafften, das Haus in der Stadt neu zu verankern, hat neben künstlerischen auch strukturelle und politische Gründe. In der Politik hatten sie nie wirklich einen Rückhalt, und das Verhältnis zum Intendanten war wegen sehr unterschiedlicher ästhetischer Auffassungen oft getrübt.

Forsythe hat daraus nun die Konsequenzen gezogen: Er übernimmt ab Ende des Jahres die alleinige künstlerische Leitung. Ob Kühnel und Schuster dann noch weiter inszenieren wollen, ist ungewiss.

Forsythe verspricht nun ein neues, erweitertes Konzept, einen „offen zugänglichen, lebendigen Kunstraum im ständigen Wandel“ mit Installationen, Gastspielen, Projekten. Doch die Gefahr ist groß, dass die Stadt die Gelegenheit ergreift, das Haus, das TAT, für immer zu schließen, wenn Forsythes Vertrag 2004 ausläuft. Die Forderungen in der Politik sind jedenfalls nicht zu überhören.

Zumindest was die Vertragsverhandlung mit William Forsythe bezüglich des Balletts angeht, rudern die Stadtverordneten allerdings bereits wieder fleißig zurück. Die Flut von Artikeln bis hin zu Le Monde oder der New York Times, die Protestbriefe und Mails unzähliger prominenter Fürsprecher, vor allem aber auch der Widerstand in der Stadt selbst hat sie überrascht. Nun soll alles nur ein Missverständnis gewesen sein, die Presse den Fall unnötig aufgebauscht haben – während zeitgleich der CDU-Kämmerer erneut verkündet, selbstverständlich das TAT und das Ballett einsparen zu wollen. Und ein Kulturdezernent auf Abruf sich wieder einmal nicht rechtzeitig und nicht mutig vor seinen Intendanten stellt.

Bei all dem selbst für die Beteiligten zuweilen schwer durchschaubaren Politspiel ist eines jedenfalls klar: Forsythe soll massive Einsparungen bei seinem Ensemble akzeptieren, vielleicht sogar die Kröte der TAT-Schließung schlucken, um seinen Vertrag behalten zu können. Dass diese Rechnung dem mathematikfesten Choreografen einleuchten wird, ist allerdings unwahrscheinlich.