Giftspur durch Deutschland

Wegen einer möglichen Verseuchung durch das Krebs erregende Nitrofen sind jetzt schon 399 landwirtschaftliche Betriebe in acht Bundesländern gesperrt. Die allermeisten sind keine Biohöfe

BERLIN taz ■ Der Nitrofen-Skandal hat die konventionelle Landwirtschaft mit aller Wucht erreicht. Nach den ersten Funden des verbotenen Pflanzengifts auch in Nicht-Ökobetrieben wurden bis gestern Nachmittag hunderte solche Betriebe in verschiedenen Bundesländern gesperrt. Auf Grund der größeren Mengen, die im konventionellen Bereich bewegt werden, erreicht die Affäre damit schlagartig eine neue Dimension.

Von den möglicherweise verseuchten Lieferungen der Mecklenburger Futtermittelfirma Fugema sind inzwischen acht Bundesländer betroffen. Nach Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg wurde auch in sechs weiteren Ländern die Überprüfung von Betrieben angeordnet, wie eine Sprecherin des Schweriner Landwirtschaftsministeriums am Donnerstag mitteilte. Insgesamt seien etwa 399 Betriebe – konventionelle und ökologische – gesperrt.

Am schwersten ist Mecklenburg-Vorpommern betroffen. Dort befinden sich nach Angaben des Schweriner Ministeriums über 300 der gesperrten Betriebe. Sie wurden mit womöglich verseuchtem Futter der Fugema beliefert, die 72 Tonnen Getreide aus der Nitrofen-Halle in Malchin verarbeitet hatte. Das Getreide war mit 50.000 weiteren Tonnen vermischt und ausgeliefert worden.

Die Agrarexpertin Ulrike Höfken (Grüne) sprach von kriminellen Machenschaften: Der Betreiber der Lagerhalle in Malchin habe von der Verseuchung mit Nitrofen gewusst und dennoch weiter ausgeliefert. Bei einem Großhändler in Hessen wurden unterdessen belastete Eiprodukte gefunden, die zum Großteil an Bäckereien ausgeliefert wurden, wie eine Sprecherin des hessischen Sozialministeriums mitteilte. Es bestehe aber keine Gesundheitsgefahr, da die Produkte stark verdünnt gewesen seien, betonte die Sprecherin.

Eineinhalb Jahre nach Beginn der BSE-Krise zeigen sich am Beispiel des Nitrofen-Skandals gravierende Lücken im Lebens- und Futtermittel-Kontrollsystem. Verbraucherministerin Renate Künast (Grüne) griff gestern den Raiffeisen-Verband an. Es gebe dort „eine Kultur des Verschweigens“. Die Genossenschaften des Verbands sind Betreiber der betroffenen Lager- und Futtermittelbetriebe oder halten große Anteile daran und sind personell eng mit dem Deutschen Bauernverband verflochten. Die Spitze des Deutschen Raiffeisen-Verbandes hat die Kritik von Künast zurückgewiesen. Dies sei nur ein „untaugliches Ablenkungsmanöver“ angesichts möglicher eigener Versäumnisse. Die betroffenen Landwirte bangen derweil um ihre Existenz. REM

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