Wehe den Diskursen

Das TAT als Bauernopfer: Experimente will die Stadt Frankfurt sich nicht mehr leisten

Wieder Frankfurt. Gerade erst ist der Wirbel um das unsägliche Spiel mit einer möglichen Nicht-Verlängerung des Vertrags von Ballettchef William Forsythe verklungen, gerade erst wollte wieder kein Politiker jemals auch nur an dergleichen gedacht haben, da wird schon die nächste Runde eingeläutet: Das Theater am Turm (TAT) soll 2004 abgeschafft werden, die Spielstätte für die anderen Städtischen Bühnen nur noch bis 2008 erhalten bleiben.

Schließungspläne rund ums TAT haben Tradition. Diesmal jedoch scheint die Stadt entschlossen, sie zu einem Ende zu bringen. Diesmal hat sie einen Zeitpunkt abgewartet, zu dem die traditionsreiche Spielstätte wehrloser ist als je zuvor: Ein klares Profil und eine mobilisierbare Anhängerschaft gibt es derzeit kaum noch.

William Forsythe hatte das Haus 1999 auf Drängen der Stadt als Intendant übernommen mit einem äußerst engen finanziellen Spielraum. Aber Geld war nicht das alleinige Problem. Nach einem umstrittenen, aber immerhin turbulenten Start gelang es den künstlerischen Leitern Robert Schuster und Tom Kühnel später kaum noch, inhaltlich Aufsehen zu erregen. Als Regisseure saßen sie ohnehin zwischen den Stühlen: Den klassischen Abonnenten zu wenig werktreu, vielen alten TAT-Anhängern hingegen viel zu brav und zu solide.

Dass beide es nicht schafften, das Theater wieder in der Stadt zu verankern, war nicht ihre Schuld allein. In der Politik hatten sie nie eine wirkliche Lobby, ihr Etat war lächerlich, und Intendant Forsythe erkannte schnell, dass ihre und seine Theaterauffassungen kaum Berührungspunkte hatten. Vor wenigen Tagen dann verkündete Forsythe überraschend, selbst die künstlerische Leitung zu übernehmen und das Programm von Grund auf umzukrempeln. Nach 2004 wolle er sich zudem ausschließlich auf sein Ballett konzentrieren.

Damit hat die Kulturpolitik erreicht, worauf sie hingearbeitet hatte: Vom TAT ist nicht mehr geblieben als ein Label für ein sich immer wieder veränderndes Theater, dem augenblicklich eine längerfristige Vision, eine Idee, ein Kopf fehlt, den man kämpferisch mit den drei Buchstaben verbinden könnte.

Dabei gäbe es gerade heute notwendige und sinnvolle Funktionen für das Theater, an dem einst Peymann Handkes „Publikumsbeschimpfungen“ uraufführte, Fassbinder Intendant war und Stromberg die internationale Neo-Avantgarde salonfähig machte. Was Frankfurt fehlt, ist beispielsweise eine Spielwiese für jüngere, experimentelle Künstler, wie sie früher die Nebenbühne des TAT, die „Daimlerstraße“, war, wo Stefan Pucher und René Pollesch begannen. Es fehlt ein flexibler, lebendiger Werkraum, wie der Berliner Prater. Mögen die Städtischen Bühnen und das Künstlerhaus Mousonturm das Bockenheimer Depot als Aufführungsort bekommen, sie brauchen tatsächlich allesamt einen großen, variablen Raum, und den auch über 2008 hinaus. Das Label TAT aber und vor allem der dazugehörige, ohnehin minimale Etat muss erhalten bleiben: Für eine neue Spielstätte, einen Diskursraum für Theater- und andere Kunstversuche einer Szene, die sich an den anderen Häusern längst nicht mehr zu Hause fühlt. Mögliche Orte dafür, wie den Frankensteiner Hof, der gerade von der Manifesta genutzt wird, oder die alten Naxos-Fabrikhallen gibt es in Frankfurt zur Genüge – sie werden gerade investorenfreundlich der Kunst wieder entwunden.

Das TAT mag gerade leicht verwundbar sein, aber es geht, wie Robert Schuster es vorausgesagt hat, um nicht weniger als die Schließung eines Theaters. Und die Intendanten der Städtischen Bühnen scheinen das Spiel mitzuspielen, weil sie wissen, dass sie irgendeine finanzielle Kröte schlucken müssen. Das TAT tut ihnen dabei am wenigsten weh. Etwas mehr Mut und mehr Vision hätte man sich da schon gewünscht; vor allem aber eine kommunale Politik, die ihre Künstler nicht zwingt, ebenfalls wie Politiker zu agieren.

FLORIAN MALZACHER