zwischen den rillen
: Baccardi-Feeling und Schmerzensschmelz

Mousse T. und Joy Denalane

Mannheim, Stuttgart, Hannover. Wenn heute ein bisschen Internationalität von solchen Städten ausgeht, liegt es am Personal. Mit Blick auf die Märkte wurden dort in den Sechziger- und Siebzigerjahren Arbeitskräfte aus anderen Ländern angeworben; mit Blick auf das Ende der Industriegesellschaft ist dieser Zuzug nun passé. Stattdessen dürfen die Kinder der Migration auf einem neuen Aufgabenfeld Profil zeigen: Sie sticken mit am Bild eines weltoffen gewordenen Deutschlands. Indem sie erfolgreich sind, werden sie sichtbar, und jede Sichtbarkeit ist zugleich ein Erfolg der Integration für die zweite Einwanderergeneration. Ist dies das Glück, das Xavier Naidoo gefunden hat? Da passt es gut, dass der Sänger ein Automuseum in Mannheim bauen will – als Erinnerung an den wirtschaftlichen Aufschwung, dessen Kind er ist, und als Standortfaktor für den Städtetourismus von morgen.

Hannover wiederum verdankt Mousse T. ein Tonstudio, das der türkischstämmige Produzent auf dem mittlerweile arg verwaisten Expo-Gelände eingerichtet hat. Der Peppermint Pavillon ist Teil eines expandierenden DJ-Unternehmens, dort werden Remixe für Bootsy Collins angefertigt, dort wird aber auch im Funky Kitchen von Jens Peter Fiene gekocht, der früher beim Urlaubsanbieter „Robinson Club“ für die Gastronomie zuständig war. Baccardi-Feeling, Animations-Dancefloor – auf dieses Mischkonzept setzt Mousse T. auch mit seinem ersten Soloalbum „Gourment de Funk“. Denn die 14 Stücke feiern nicht bloß unentwegt Party, sie sind auch Beleg für die Marktfähigkeit des Sound of Hannover, den der 1966 in Hagen als Mustafa Gündogdu geborene House-Spezialist in den letzten sechs Jahren gebastelt hat. Hier ist Kommerzialisierung kein Schimpfwort, sondern ein Zeichen für die erreichte Produktverbesserung: Die Werbeleute von Mousse T. sagen „Potenz“, wenn sie seine guten Verkaufszahlen meinen.

Dabei zieht „Gourmet de Funk“ durchaus mit Humor Bilanz. 1998 war „Horny“ ein trittfest heruntergestampfter House-Track, jetzt wurde das Stück von Mousse T. noch einmal elegant im Bigband-Stil hochgejazzt. Manchmal allerdings wird die Grenze schmal zwischen gediegener Produktionsästhetik und billiger Auftrags-Discoarbeit. Dann stehen die Basslines still: Zäh quält sich „Toscana“ als Begleitmusik durch Bilderlandschaften aus dem Diakarussell, und das öde Instrumentalgeplänkel für „C-Movie“ ist fast schon auf dem Niveau von Teresa-Orlowski-Videos. Aber schließlich hat auch die polnische Sexarbeiterin ihren Beitrag zur Erfolgsökonomie made in Hannover geleistet.

Die Firma, für die Joy Denalane arbeitet, heißt „Fourmusic“, wird vom HipHop-Zirkel Freundeskreis mitbetrieben und sitzt in Stuttgart. Nachdem sich Denalane vor zweieinhalb Jahren mit Max Herre im Duett „Mit Dir“ hoch in die Top-5-Charts sang, ist der Moment für das Solodebüt günstig gewählt. „Mamani“ ist zwar weitgehend deutschsprachig, fügt sich aber einigermaßen bruchlos in den US-amerikanischen R & B-Boom von Mary J. Blige und ihrem Gefolge. Zugleich dürfte Joy Denalane, die in Texten viel Wert auf Worte wie „bewusst“ und „leben“ legt, bei der Zielgruppe gut ankommen, die auch zu Konzerten von Erykah Badu geht oder bei Lauryn Hill kräftig mitschluchzt.

Überhaupt ist die stete Betonung von lebensenttäuschter Weiblichkeit und Mutterexistenz der Motor fast aller Lieder. So groovt Erfahrung, so rockt das Herz einer Frau, die belogen und betrogen wird, oder wie Denalane in „Geh jetzt“ mit allem Schmerzenschmelz des Souls singt: „Du spielst dein Spiel, nur drei sind einer zu viel“.

Trotzdem: Ganz auf Viva-Format zugeschnitten ist dieses Programm nicht. Vom Seitensprung geht es zur Identitätssuche nach Afrika; Kalimba-Perkussion wechselt sich mit Streetbeats ab; die Musiker stammen aus Simbabwe und von den Kapverdischen Inseln, der Trompeter Hugh Masekela bringt zusätzlich Politjazz-Credibility. Wenn Denalane ihre tote Mutter betrauert, singen die Mahothella Queens den Chor im südafrikanischen Pedi, wenn sie sich als Hommage auf Billie Holiday deren „I cover the waterfront“ vornimmt, wird es mucksmäuschenstill im Studio, nur das Vibraphon legt ein paar Spuren in die Vergangenheit.

Das alles würde in den USA vermutlich Teil einer Jugendbewegung sein, die sich mit postkolonialen Realitäten auskennt und zu Hause doch die gleichen Probleme mit Eifersucht und unglücklicher Liebe hat wie der Rest der Suburb-Welt auch. In Deutschland wird Denalane dagegen auf das Role-Model in Sachen Integration und doppelte Staatsbürgerschaft festgelegt. Wenn sie bei Brothers Keepers die Sister im Chor gibt, gilt ihr Afrodeutschsein für Freunde des Diskurses als schwer authentisch. Es sind die gleichen Leute, die ihrem Soloalbum nachsagen, dass sie 70er-Jazzrock mit dem Schlager-Blues einer Joy Fleming koppelt. Beides mag stimmen, beides ist ein Erfolg – für Stuttgart, Mannheim und anderswo. HARALD FRICKE

Mousse T.: „Gourmet de Funk“ (Edel Music). Joy Denalane: „Mamani“ (Four Music)