Satt Feiern macht satt

Mit dem Lesbisch-Schwulen Stadtfest beginnt heute die Feierwoche rund um den Christopher Street Day. Doch Ungemach naht: Denn selbst die „Siegessäule“, Sprachrohr der Partyfraktion, übt Kritik

von WALTRAUD SCHWAB

An zwei Wochenenden im Juni zeigt die Welt der homoerotischen Imagination, wie nah sie an der Wirklichkeit vorbeirauscht. „Noch immer unser höchster Feiertag“, sei es, der um diese Jahreszeit stattfinde, sagt Manuela Kay, die verantwortliche Redakteurin der Siegessäule, des Berliner Zentralorgans der homosexuellen Partyfraktion. Gemeint sind der Christopher Street Day und sein Advent, der heute als „Lesbisch-Schwules Stadtfest“ rund um die Motz-, Kalkreuth-, Fugger- und Eisenacher Straße eingeläutet wird. Wie konnte sich bloß das „Noch immer“ in den Satz der Journalistin schleichen?

„Die Mischung macht’s“ ist das Motto des diesjährigen Stadtfests, das sich zum 10. Mal jährt und Kind der „schwulen Wirte“ im Schöneberger Kiez in der Nähe des Nollendorfplatzes ist. Der Leitspruch überzeugt nicht durch Originalität. Darum aber geht es nicht. Eher schon gilt: in der Masse versinken und trinken. Das tun nicht wenige der schwulen Männer, Haudegen, Rocker und Queens, der lesbischen Frauen, Seelchen und Kings, aber auch der Familienväter und Touristen, die gerne mal wieder nach außen gekehrte Sexualität besichtigen wollen. Dass Sehnsucht, Einsamkeit und Ernüchterung trotzdem bleiben, steht auf einem anderen Blatt. Die Mischung nämlich macht es auf gar keinen Fall. Schon gar nicht, wenn Kommerz der oberste Imperativ ist. Zirka 75.000 Euro aus Überschüssen und Spenden hätten die Wirte in den letzten zehn Jahren an schwule Projekte verteilt. Aufs Jahr gerechnet macht das 7.500 Euro. Viel ist das nicht.

So eingestimmt, drängt alles dem Höhepunkt zu, dem CSD, der eine Woche später stattfindet. Jedes aufgeklärte Kind weiß: Da war mal was, das war was. Da ist einer in New York von Polizisten umgebracht worden, weil er schwul war. 33 Jahre ist das her. Seither gehen Homosexuelle an diesem Tag für ihre Rechte auf die Straße. 1979 auch zum ersten Mal in Berlin. Dieses Jahr wird mit einer halben Million Leute gerechnet, die anlässlich der „Love Parade der Homosexuellen“ unter dem Motto „Wir machen Berlin anders, weltoffen, tolerant, queer“ vom Ku’damm bis zur Siegessäule ziehen. Größere Ansprüche an den Einzelnen werden nicht gestellt, und dass Reinickendorfer oder Neuköllnerinnen in Trainingsanzügen noch Wochen später von der Marlboro-Fete bei der Goldelse schwärmen, soll niemanden wundern.

„Der CSD ist eine angepasste Veranstaltung geworden.“ Wieder sagt es zur Überraschung aller, die dies schon lange denken, die Redakteurin der Siegessäule. Anders als noch vor einem Jahr, verweigert sich das Szenemagazin dem großen Abfeiern. „CSD satt!“, lautet der Aufmacher ihres Juniheftes. „Satt ist doch ein gutes Gefühl“, sagt Manuela Kay. Das mag stimmen, aber statt schriller Tunten ziert dieses Jahr eine wenig verführerische Berliner Currywurst mit Ketchup und Pommes mit Majo auf Pappteller das Titelblatt. Das Holzstäbchen ist mit einem Regenbogenfähnchen verziert.

Wo letztes Jahr ein Siegessäule-Sonderheft zu Stadtfest und Christopher Street Day herausgegeben wurde, tun es dieses Mal zehn Seiten. Auf der letzten sind die „CSD-Partys bis zum Umfallen“ aufgelistet. Politisch korrekt – denn es gilt: Don’t drink and drive – ist daneben die Werbung der BVG für ihre Unterwäsche abgedruckt. Wer an CSD oder der richtigen Love Parade, die drei Wochen später stattfindet, einen Stringtanga, benannt nach den U-Bahnhöfen „‚Zwickauer Damm‘ für Buben oder ‚Französische Straße‘ für Mädels“ nebst Verpackung an sich und bei sich trägt, fährt auf Bus und Bahn umsonst. Zu erwerben gibt es den textilen Fahrschein, die „Popomanschette“, selbstredend auf dem Fest.

CSD, Stadtfest – „jedes Jahr das Gleiche“, meint Kay. Mit der Berichterstattung sollen der Zwiespalt, die Sättigung zum Ausdruck gebracht werden, sagt die Redakteurin. Der Überdruss werde so „ironisch gebrochen, aber auf gar keinen Fall negativ“. Was aber bedeutet es, wenn das Zentralorgan der homosexuellen Partyfraktion dem Event seinen Beifall verweigert?

Currywurst und Pommes mit Majo und Ketchup sind nämlich nicht jedermanns Sache, obwohl dem Jungen, der samt Papa in der U-Bahn auf das Titelblatt des Berliner „schwullesbischen Stadtmagazins“ starrt, das Wasser im Mund zusammen läuft. „Ich will Pommes“, sagt der Kleine zu seinem Vater. „Nein“, antwortet der. „Ich hab aber Hunger“, jault das Kind. „Nein“, lautet die kategorische Ablehnung. „Warum nicht?“, will der Junge wissen. „Da ist CSD drin“, so die Antwort „Was ist CSD?“, insistiert der Kleine. „Gift.“

Stadtfest am Nollendorfplatz, von Samstag, 11 Uhr, bis Sonntagnacht. Auf fünf Bühnen und an vielen Ständen gibt es jede Menge Pink: Musik, Tanz, Travestie, Karaoke, „Promis auf der Talkcouch“ und harte Facts.