Auf der sicheren Seite

Am Freitagabend wurden im Berliner Tempodrom die Deutschen Filmpreise vergeben. Der Kanzler zitierte Rilke, die Pointen waren flach, und „Nirgendwo in Afrika“ erhielt gleich fünf Auszeichnungen

von CRISTINA NORD

Als Caroline Link, die Regisseurin und Drehbuchautorin von „Nirgendwo in Afrika“, den Preis für die beste Regie entgegennahm, ließ sich der Moderator Dirk Bach angesichts ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft und ihres Film „Jenseits der Stille“ zu einem Kalauer verleiten: Dies sei „der letzte Preis diesseits des Stillens“.

Es war dies nicht der schlechteste Witz eines an flauen Pointen reichen Abends. Ostentativ locker sollte der Ton sein, als am Freitag im Berliner Tempodrom die Deutschen Filmpreise verliehen wurden. Doch es mangelte an Esprit, genauso wie den Abendroben jener Glamour fehlte, der Exzentrik braucht, um sich zu entfalten. Dass Film etwas mit Kunst zu tun hat, wurde zwar immer wieder behauptet. Aber wie gerne sprachen die Festredner von Unterhaltung! So trotzig beharrten sie auf dem Recht, doch einmal fröhlich sein zu dürfen, dass man glauben wollte, in den hiesigen Kinos laufe tagein, tagaus nichts anderes als Jean-Marie Straubs und Danièle Huillets „Antigone“. Von der ersten bis zur letzten Vorstellung. So konstruiert sich der Mainstream die Minderheitenposition und fühlt sich wohl.

Was der Gala fehlte, war eine Ahnung von der Anmut des Kinos. Oder einfach nur: Respekt vor dem Film. Wo alle wie toll „Der Schuh des Manitu“ beklatschten, wo Udo Lindenberg sich an Marlene Dietrich vergehen durfte, wo die Moderatorin Caroline Beil keine Peinlichkeit ausließ, nahm es nicht wunder, dass die einzige ernst zu nehmende Verbeugung vor der Macht und der Schönheit des Films ein paar Sätze von Dirk Bach blieben: „Wenn ich ins Kino gehe, möchte ich lachen, weinen und mich in die Hauptdarstellerin verlieben“ – besonders „als 15 Jahre alter homosexueller Jugendlicher“. Darin schwang immerhin ein Hauch von den Verführungen, den Sehnsüchten und den Utopien mit, die dem Kino eigen sind.

„Nirgendwo in Afrika“ erhielt insgesamt fünf Goldene Lolas. Caroline Links Film ist zwar handwerklich gut, solides Erzählkino eben, aber doch auch Teil einer merkwürdigen Verschiebung: Im Land der Nationalsozialisten macht man beharrlich Filme über die Opfer der Nationalsozialisten. Täterschaft bleibt ein blinder Fleck, der nur zögerlich und dann eher im Dokumentarfilm erforscht wird. Warum wagt sich niemand an die Geschichte eines nach dem Krieg in Paraguay untergetauchten Nazis? Vermutlich weil das kontroverser wäre als die Geschichte einer nach Kenia geflüchteten jüdischen Familie. Von ihr zu erzählen bedeutet, auf der sicheren Seite zu stehen und den Nachkommen der Täter Identifikationsangebote mit den Opfern zu liefern. „Gewalt ist nicht unterhaltsam“, „Gewalt ist kein Spaß“, und „Gewalt sollte im Kino nicht verherrlicht werden“, sagte der Bundeskanzler in seiner Ansprache, nachdem er sich auf Fassbinder berufen und Rilkes „Der Panther“ rezitiert hatte. Fassbinders Lebenswerk sei „der beste Grund, warum es diesen Filmpreis geben muss“. Wie, bitte schön, geht das zusammen? Sich mit Fassbinder schmücken und einem sozialpädagogisch wertvollen Auftrag das Wort reden?

Es bedarf demnach keines besonderen Abwehrreflexes, um angesichts der Preisverleihung ins Grübeln über den Zustand des Films in diesem Land zu geraten – und das umso mehr, als mit Julian Nida-Rümelins Engagement neue Zeiten für die einheimische Filmproduktion bevorstehen könnten. So man denn endlich einmal loskäme von der ästhetischen Mutlosigkeit, in der sich die Branche eingenistet hat.