Freier Handel vor Solidarität

EU-Kommission fordert finnische Regierung auf, Blockadeaktion der Hafenarbeiter gegen Billigflaggschiffe zu unterbinden. Sie behindere den freien Warenverkehr. Die Gewerkschaft sieht das als Eingriff in international verbürgte Arbeitskampfrechte

aus Helsinki REINHARD WOLFF

Die EU-Kommission will die finnische Regierung zwingen, eine Blockadeaktion der Hafenarbeiter zu unterbinden, die sich gegen estländische Billigflaggschiffe wendet. Begründung: Das verstoße gegen das Assoziierungsabkommen zwischen Europäischer Union und Estland. „Diese Ankündigung lässt Böses für die Zukunft erwarten“, erklärte Erik Danhard, Chefjurist der Hafenarbeitergewerkschaft. Hier stünden lang erkämpfte Gewerkschaftsrechte zur Debatte.

In einer innerhalb des Verbands der internationalen Hafenarbeitergewerkschaften nicht unüblichen Solidaritätsaktion zum Kampf gegen Arbeitskraftausbeutung blockieren die finnischen Gewerkschaftler derzeit die Entladung von Schiffen unter der Flagge Estlands. Nach ihren Informationen halten deren Reedereien nicht einmal die minimalen Tarif- und Arbeitsvorschriften gegenüber ihren Besatzungsmitgliedern ein. Eine estländische Reederei hatte wegen der Blockade lieber den Verkehr nach Finnland eingestellt, als das Lohnniveau anzuheben – und sich bei der EU-Kommission über die Gewerkschaftsaktionen beschwert.

In einem Brief hat die EU-Kommission die Regierung in Helsinki nun abgemahnt und damit gedroht, sie vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen, falls sie die Aktivitäten der finnischen Seemannsunion und der Transportarbeitergewerkschaft nicht stoppe. Nach Auffassung der Kommission führt die Gewerkschaftsblockade dazu, dass es estländischen Schiffen unmöglich gemacht wird, ihre „Transportdienste anzubieten“. Damit verstoße Finnland gegen das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Estland.

Die finnische Regierung hat allerdings weder eine Handhabe gegen Hafenarbeiter, noch sieht sie überhaupt eine Veranlassung, etwas gegen diese zu unternehmen. Die Aktion verstößt nämlich nicht nur nicht gegen finnisches Recht, sie wird vielmehr durch die gewerkschaftliche Organisationsfreiheit und das Streikrecht regelrecht abgesegnet, das in verschiedenen internationalen Abkommen garantiert wird. Unter anderem in Artikel 28 der EU-Charta der Grundrechte. Ein entsprechender Brief Helsinkis müsste inzwischen in Brüssel eingetroffen sein.

Sollte die EU-Kommission ihre Drohung wahr machen und Finnland trotzdem vor dem EG-Gerichtshof anklagen, könnte dies große Bedeutung für die Gewerkschaften in der EU insgesamt haben. Das Recht zu internationalen Solidaritätsaktionen könnte zumindest im Verhältnis zu Ländern, die über Assoziierungsabkommen mit der EU verfügen, ausgebremst werden.

Für Danhard ist das einfach nur „erschreckend“. Seine Erklärung: Man „überinterpretiert bei der EU offenbar die so genannte Monti-Verordnung“ (Ratsverordnung Nr. 2679/98 v. 7. 12. 1998), die den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr in Europa garantiert. Diese bevollmächtige nicht dazu, in nationales Arbeitskampfrecht einzugreifen.

Was die Gewerkschaft besonders problematisch empfindet, ist die Tatsache, dass sich die EU-Kommission zur Begründung ihres Standpunkts auf ein Urteil des EU-Gerichtshofs (Az. C-265/95 v. 9. 12. 1997) beruft. Darin wurde Frankreich wegen Verstoßes gegen den Schutz der Freiheit des Warenverkehrs verurteilt. Konkret ging es um spontane Blockadeaktionen von Landwirten gegen ausländische Landwirtschaftsprodukte. Laut Danhard ist beides jedoch nicht vergleichbar. Die Aktion in Frankreich sei auch nach nationalem Recht ungesetzlich und nicht durch die gewerkschaftliche Organisationsfreiheit gedeckt gewesen. Offenbar, so Danhard, versuche die EU, die Grenzen zuungunsten gewerkschaftlicher Rechte zu verschieben. Er lobte die Regierung in Helsinki dafür, dass sie sofort ablehnend reagiert habe, befürchtete aber auch, dass andere EU-Länder sich von Brüssel einschüchtern lassen: „Wir müssen wachsam sein. Es geht um die Basis des gesamten Arbeitskampfrechts.“