„Ich klage nicht“

Eine neue Biografie würdigt Theodor Fontanes Frau Emilie und ist zugleich das Dokument einer Liebesgeschichte jenseits der Zeit

von ASTRID VON PUFENDORF

Gotthard und Emilie – ein Liebespaar? Es könnte so scheinen. Er als erwünschtes einziges Kind glücklicher Eltern am 20. Juni 1933 in Meerane, einem kleinen Dörfchen in Sachsen, geboren und auf dem Familienhof behütet aufgewachsen. Sie auch in Sachsen, in Dresden geboren, aber nur weil die Mutter, eine 34-jährige Pfarrerswitwe, Therese Müller aus Beeskow, ihr uneheliches Kind nicht in ihrem Heimatdorf zur Welt bringen wollte, wo bereits ihre drei Kinder aus der Ehe mit dem verstorbenen Pfarrer Müller und auch ihre hugenottische Familie Rouanet seit Generationen lebten. Emilie wurde also in Dresden am 14. November 1824 geboren und rasch zur Adoption freigegeben. Gotthard und Emilie – eine Liebesgeschichte über ein Jahrhundert hinweg? Wer die wunderschöne Biografie von Gotthard Erler, dem großen Fontane-Herausgeber des Aufbauverlags, über Emilie, die Frau des Schriftstellers, liest, kann die Frage nur mit Ja beantworten.

Emilie Rouanet-Kummer war ein unerwünschtes Kind, von der Mutter erbte sie das Hugenottenblut, daher Rouanet, und vom Adoptivvater Karl Wilhelm Kummer, einem Kunsthandwerker und Bohemien, bekam sie zwar ein schützendes Dach und warmherzige Zuneigung, aber auch ein unstetes und zum Teil quälendes Leben, weil die Frauen des Herrn Kummer alles andere als aufopfernde Mütter waren. Die erste Frau kränkelte und war dem fröhlichen Wildfang Emilie in keiner Weise gewachsen. Als sie starb, war Emilie sechs. Vater Kummer vernachlässigte Emilie und überließ sie einem Dienstmädchen, das ihren eigenen Vergnügungen nachging und das Kind an einen Bettpfosten band, wenn sie sich den Soldaten hingab. Schließlich heiratete Kummer „eine poltrige und ungehobelte – aber vermögende“ Frau, mit der er es aber nur einige Jahre aushielt, Jahre, die genügten, um Emilie völlig „verstört sich selbst zu überlassen“.

Sie entwickelte in der schlechten Obhut der nachfolgenden Dienstmädchen allmählich Techniken, um sich gegen ihr „fatales Umfeld“ zur Wehr zu setzen, sie verwilderte, wurde „naseweis und maliziös“, der Schrecken des Hinterhofs, und wird in der Folge von den anderen Kindern ausgeschlossen. Vielleicht war diese harte Schule die Voraussetzung, dass sie das Leben mit ihrem späteren Mann, Theodor Fontane, überhaupt hat aushalten können, dabei wäre ihr nach einer solchen Kindheit ein ruhiges und geborgenes Leben zu wünschen gewesen.

Als sie zehn Jahre alt ist, eine kleine Göre mit Augen wie schwarze Kohlen, lernt sie den fünf Jahre älteren in sich gekehrten Theodor zum ersten Mal kennen, aber man verliert sich wieder aus den Augen. Emilie kommt mit fünfzehn in eine ordentliche Pension in Berlin und erhält eine gute Schulbildung, während ihr Adoptivvater, inzwischen Mitte fünfzig, eine dritte Ehe eingeht mit der 32-jährigen Berta Kinne aus Herrenhut, die sich wider alles Erwarten als eine warmherzige Ersatzmutter für Emilie entpuppt.

Als der gelernte Apotheker Theodor Fontane 1844 nach Berlin zurückkehrt, um sein freiwilliges Militärdienstjahr abzuleisten, wird die Bekanntschaft mit Emilie wieder aufgenommen und führt eineinhalb Jahre später, im Dezember 1845, zur Verlobung. Doch Emilie ist „von vornherein auf Warteposition gesetzt“ und hat sich „mit immer erneut enttäuschten Hoffnungen auf Heirat und bessere Tage zu begnügen – fünf lange Jahre“. Sie wandert von Wohnstätte zu Wohnstätte, mal bei den Schwiegereltern in Letschin, mal bei Bekannten oder Freunden, zwar stets willkommen, aber „das Gefühl, dass ich eigentlich nirgends so recht hingehöre, quält mich dann auch, und mit heißer Sehnsucht wünsche ich mir einen eigenen kleinen Herd“, schreibt sie Fontane, der keine feste Anstellung findet und nicht genug Geld verdient, um eine Familie gründen zu können.

Dann endlich, im April 1850, ergibt sich eine feste Anstellung für Fontane in der Presseabteilung des Innenministeriums, und das Paar kann im Oktober vor den Altar treten, eine Hochzeitsreise ist allerdings nicht drin. Das Sparen geht weiter, die Fontanes leben „am Rande der Armut“. Was folgt, sind – bis auf wenige glückliche Momente wie die Geburt des Sohnes George im August 1851 – „Krankheiten, Schwangerschaften, tote Kinder“, so eine der Kapitelüberschriften der Biografie. Hinzu kommen Trennungen, wenn Fontane zum Arbeiten in London weilt, Umzüge in immer kleinere Wohnungen. Drei Kinder sterben in den ersten fünf Ehejahren. Im November 1856 bringt Emilie ihren zweiten Sohn Theo zur Welt. Als Fontane eine auskömmliche Anstellung in London erhält, ein Häuschen mieten und seine Frau mit den Söhnen zu sich holen kann, „hat es den Anschein“, wie Erler schreibt, „dass die Fontanes während dieser Londoner Jahre eine harmonische Ehe führen und in äußerlich relativ stabilen Verhältnissen ohne größere Reibereien miteinander auskommen“, wenn auch beide schon bald am „Londonüberdruss und der Sehnsucht nach der Heimat“ leiden.

Nach anderthalb Jahren sind sie wieder zurück, und die Probleme beginnen aufs Neue: In fünf Jahren fünf Umzüge und zwei Kinder, im Frühjahr 1860 das lang ersehnte Mädchen, Mete – der Liebling des Vaters –, und 1864 Friedrich, genannt Friedel. Dazu Emilies „labile Gesundheit, ihr löchriges Nervenkostüm, eine depressive Disposition und ihr durch die Schwangerschaften geschwächter Körper“, ständige Geldsorgen und ständige Trennungen.

Was für eine selbstständige und gesellschaftlich gewandte Frau Emilie ist, zeigt nicht nur ihr reger gesellschaftlicher Verkehr, sondern auch, wie sie sich allein in London zu Gast in einem vornehmen Hause von Freunden bewährt, wie begierig sie alle kulturellen Anregungen der Drei-Millionen-Stadt aufnimmt und in lebhafte Schilderungen in Briefen an den Mann verwandelt. Wie selbstbewusst sie aber auch ihrem Mann gegenüber ist, beweist die Art, wie sie den brieflichen Streit mit ihm führt über dessen Kündigung seines Engagements bei der konservativen Kreuzzeitung, die einzige gerade erst errungene regelmäßige Einnahmequelle der Familie. „Sicherheit is nich“, wenn man mit einem Schriftsteller verheiratet ist, meint Fontane und zählt zu seiner Verteidigung all die Vorteile auf, die sie an seiner Seite genießt: „ein bevorzugtes Leben mit Schönem, Apartem, Poetischem“.

Aber auch Angst und Anstrengung. 1870 zieht Fontane als Chronist in den Deutsch-Französischen Krieg, gerät vorübergehend in Gefangenschaft. Er wird Theaterkritiker bei der liberalen Vossischen Zeitung, ist abends oft weg, Emilie gestaltet den gesamten Haushalt und muss auch den erneuten Umzug – endlich den letzten – in die Potsdamer Straße, fast alleine bewältigen. Inzwischen ist der dritte Band der „Wanderungen“ und die Darstellung des Deutsch-Französischen Krieges fertig, Fontane etabliert sich allmählich als Schriftsteller, allerdings noch nicht als Romanautor. Dass Emilie sorgfältig alle Kritiken sammelt, findet Fontane selbstverständlich, aber er erkennt immerhin an : „Sie ist innerhalb ihrer Sphäre, durch Visitenmachen und -empfangen, durch Briefeschreiben, Kinderversorgung und Wirtschaftsführung mindestens ebenso in Anspruch genommen wie ich in der meinigen.“

Das stimmt, denn sie lernt nicht nur ständig neue Dienstmädchen an und bringt ihnen das Kochen bei, sie kümmert sich auch in allen Einzelheiten um ihre Kinder, vor allem mit Mete hat sie große Sorgen. Dagegen bewährt sich der immer wieder unterschätzte jüngste Sohn Friedel als eine echte Stütze der Familie. Er wird Verleger, und „seiner Umsicht und Rührigkeit ist es zu danken“, dass fünf Werke des Vaters, die alle in schlechten Händen waren, „wieder anfangen zu gehen“. Mit der Zeit gibt er alle Werke Fontanes mit großer Sorgfalt heraus, berät die Mutter nach dem Tode ihres Mannes und wohnt mit ihr zusammen. Der einzige Sohn, der Kinder hat, ist Theo, denn 1887 müssen die Eltern ihren geliebten ältesten Sohn George begraben.

Ebenso kümmert sich Emilie um die Gesundheit ihres Mannes, der eine lebensbedrohende gesundheitliche Krise im Jahre 1892 durchlebt, die er dank Emilies kluger Fürsorge und dank der nun beginnenden Niederschrift von „Meine Kinderjahre“ überwindet. So verdankt die Nachwelt ihr Fontanes neu gewonnene Schaffenskraft und damit zwei seiner besten Romane: „Effi Briest“ und „Der Stechlin“.

Gereist wird auch viel, „und die Vorbereitungen liegen weitgehend in Emilies Hand“, aber die Italienreise war eine Überraschung und auch eine Anerkennung für Emilies vielfältige Leistungen. Im Jahre 1874 gönnen sich die Fontanes eine siebenwöchige Reise nach Italien, die trotz mancher Unbill harmonisch verläuft, ebenso im Jahr darauf eine Reise von München aus nach Salzburg und Wien zur Feier der Silberhochzeit.

Fünfundzwanzig Jahre Ehe mit einem mittellosen Schriftsteller, der noch keinen einzigen Roman geschrieben und dennoch eine gut dotierte, feste Beamtenstellung als Erster Sekretär der Akademie der Künste nach einigen Monaten wieder aufkündigt, weil ihm die Bevormundung und die Langeweile unerträglich und seine Freiheit wichtiger als alles andere ist, eine solche Ehe ist schwer zu ertragen. „Wohin ich sehe, nirgends ein kleiner Lichtstrahl der Hoffnung oder des Anderswerdens“, schreibt Emilie Anfang 1877 an eine Freundin. „Glauben Sie nun nicht, teure Freundin, dass ich trostlos bin, ich bin ganz still ergeben, da ich nach meiner Kraft tue und getan habe, um uns leidlich über Bord zu halten. Jetzt halte ich still; wird es stürmen oder nicht?“

Im Herbst 1878 erscheint Fontanes erster Roman „Vor dem Sturm“, „ein Schmerzenskind“, an dem er mit Unterbrechungen anderthalb Jahrzehnte gearbeitet hat. Es wird ein Erfolg, Fontane gewinnt sein Selbstvertrauen zurück, weil er endlich „zu seinem Eigentlichen gefunden hat und jetzt sein Metier als eine Kunst betreibt“. Emilie atmet auf und will „nur noch für Th. F. leben und sterben“, sie akzeptiert nun endgültig, „dass es das erste Bedingnis eines häuslichen Glückes ist, dass der Mann in seiner Tätigkeit glücklich und unbehindert ist; alles andere, Umgang, Freundschaft etc., ist nur Ornament“.

Emilie Fontane ist ein Beispiel für unzählige Frauen. Wie sähe die Literatur ohne diese Frauen aus? Sie schreibt nicht nur ab, sie liest mit Verstand und macht häufig Verbesserungsvorschläge für seine Romane, die er sogar meist, wenn auch abgeschwächt beherzigt. Sie hat einen hohen Kunstverstand, was sich in ihrer Beurteilung der vielen Theaterstücke widerspiegelt, die sie mit Leidenschaft besucht – schließlich hat sie als junges Mädchen selbst einmal Theater gespielt. Fontane lobt ihre Sicherheit im Urteil auch über die bildende Kunst und führt dies auf ihre Toulouser Herkunft zurück. Sie kritisiert nicht nur, sie stellt Fragen, Fragen zu allen Themen, zu seiner Arbeitsweise, zur Kunst, zur Politik, zum Leben im Allgemeinen und Besonderen. Emilies Fragen verdankt die Nachwelt Fontanes „weitreichende Bekenntnisse“, die zuweilen in kleine Essays fließen, alles niedergelegt in den Briefen an seine Ehefrau.

Fontane stirbt am 20. September 1898, Emilie wird seine Nachlassverwalterin, gibt seinen Schreibtisch dem Märkischen Museum und versucht die in alle Welt verstreuten Briefe Fontanes zu erfassen und zurückzuholen, einiges wird auch einfach vernichtet wie etwa viele sehr persönliche Briefe aus der Verlobungszeit. Sie überlebt ihn keine vier Jahre. „Ich klage nicht, ich danke nur, gesegnet gewesen zu sein, an seiner Seite durchs Leben zu gehen, aber – er fehlt mir!“, schreibt sie an eine Freundin.

Sie sagt: „Es war ein schönes Leben mit ihm, und ich würde es gleich noch einmal beginnen.“ Er hatte an sie geschrieben: „Wie schlecht hast Du es gehabt. Von mir red ich nicht; Poetenverrücktheit und Poetendünkel helfen einem über alles weg. Aber die armen Frauen! Hunger, Not und Sorge, kleine Kinder, keine Aussichten (oder höchstens auf neue) und von der Welt mit einem Blick des Mitleids oder auch wohl mangelnder Achtung gestreift.“ Doch meint er am Ende seines Bekenntnisses. „Du würdest jetzt ein schlechtes Geschäft machen, wenn Du tauschen wolltest.“

Wie Recht der Alte mal wieder hatte, als hätte er es geahnt, dass seine Frau dereinst, nach mehr als hundert Jahren, einen Liebhaber finden würde, einen Liebhaber in Gestalt des Autors Gotthard Erler, der uns ein so interessantes Buch über sie, die Emilie Fontane, geschenkt hat.

ASTRID VON PUFENDORF, 64, ist Historikerin und Publizistin. Sie lebt in Düsseldorf