csd-tagebuch
: Chou Chou de Briquette stellt sich einige Fragen

Was wurde da eigentlich gefeiert?

Demo, Dance oder Domäne des Kommerz? Was ist aus dem Christopher Street Day, der jährlichen Demo gegen Diskriminierung der Homosexuellen, geworden? Chou Chou de Briquette, stadtbekannte Szenegröße und Mitorganisatorin der ersten Berliner CSDs, zieht für die taz Bilanz des Wochenendes.

Nun hat das lesbisch-schwule-transgender Berlin wieder Ruhe. Die CSD-Jubel-Parade und der Kreuzberger CSD sind vorbei, Tänzer und Aktivisten sind ausgepowered, müde und erschöpft vom Laufen und Feiern. Die auffälligste Demonstration an diesem Tag war der CSD in Berlin sowieso nicht. Das waren die euphorischen Türken, die den Einzug der Türkei ins Halbfinale bei der Fußball-WM lautstark mit Autokonvois und Hupkonzerten in der ganzen Stadt feierten.

Meine ganz persönliche CSD-Demo begann in der Schlesischen Straße. Als biologische Männer in weiblicher Kleidung waren zwei „Gesinnungsgenossinnen“ und ich zu Fuß auf dem Weg zum Kreuzberger CSD. Zwischen den jubelnden Türken stießen wir zwar auf überwiegend positive Reaktionen. So warfen uns Frauen Kusshände zu, einige bestärkten uns und wünschten uns „auch einen schönen Feiertag“. Es gab aber auch offene Ablehnung. Von zwei türkischen Jugendlichen wurden wir bespuckt.

Als ich am Nachmittag die Fernsehbilder des Ku’damm-CSD verfolgte, sah ich meine Befürchtungen bestätigt. Kaum Transparente mit Forderungen, aber jede Menge Werbung. Schöne bunte Bilder, die zudem von einem unsäglichen ModeratorInnen-Gespann kommentiert wurden.

Ja, so sind sie, unsere Homosexuellen. Lustig und schrill. Und bei der Abschlusskundgebung an der Siegessäule standen die „Mütter und Väter“ des Lebens-Partner-Gesetzes auf der Bühne und klopften sich gegenseitig auf die Schulter, wie toll das jetzt ist, dass Schwule und Lesben heiraten können.

Dabei ist die Homo-Ehe aus emanzipatorischer Sicht ein Rückschritt, verstärkt patriarchale Strukturen, statt sie zu beseitigen.

Mit dem Ku’damm-CSD zeigen Lesben und Schwule immerhin, dass sie toll feiern können. Aber wo sind diese Menschen die restlichen 364 Tage des Jahres? Wo engagieren sie sich das ganze Jahr über für ihre Rechte?

Sie werden wieder unsichtbar, verschwinden in Clubs und Fitnessstudios. So bleiben Forderungen an die Gesellschaft nur leere Parolen. Und die selbst ernannten „Führer“ dieser lesbisch-schwulen Bürgerrechtsbewegung verkaufen gesamtgesellschaftliche Rückschritte als lesbisch-schwulen Fortschritt.

Ist diese Entwicklung überhaupt noch zu stoppen? Ist der CSD nicht längst zu einem Riesengeschäft verkommen? Was gibt es eigentlich zu feiern? Fördert eine bunte Parade nicht das ohnehin bei den meisten Schwulen und Lesben übertriebene Konsumverhalten? Am wohlsten habe ich mich gefühlt, als ich nach dem Demonstrationszug des Kreuzberger CSD vom Oranienplatz zum Heinrichplatz über die abgesperrte Oranienstraße flaniert bin. So könnte Berlin aussehen. Die Menschen sind auf der Straße, nicht die Autos. Es ist genügend Raum vorhanden, sich zu begegnen, sich zu unterhalten. Lesben, Schwule, Heteros, Transgender, Deutsche, Türken, die Welten mischen sich, tauschen sich aus. Wie wäre es zukünftig mit vielen CSDs. In jedem Kiez einen. Oder einfach mal mit einer Demo-Route durch Marzahn oder Rudow?