Die Königin der Legehennen

Renate Künasts Buch oszilliert zwischen Betroffenheitsprosa und Faktensammlung, Wahlkampf und ehrlicher Bestandsaufnahme. Kein Wort über die desaströse Politik ihres SPD-Vorgängers Funke

von MANFRED KRIENER

Wenn der Bauernpräsident Gerd Sonnleitner über die Agrarwende spottet, dann vergleicht er sie gerne mit dem Rheinkrokodil. „Es liefert permanent Schlagzeilen, aber keiner hat es je gesehen“, höhnt der deutsche Oberbauer. Für ihn ist die Agrarwende ein Phantom im Stall, eine virtuelle Revolution mit viel ideologischem Kampfgeschrei und wenig Wirkung. Wie real diese Agrarwende tatsächlich ist, welche Weichenstellungen sie fordert und wie die Umgestaltung der Landwirtschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten laufen soll, hat die grüne Ministerin Renate Künast auf 250 Seiten aufgeschrieben. Leider heißt das Buch nicht „Die Agrarwende“, sondern „Klasse statt Masse“, was dem Umstand geschuldet ist, dass man auch Politik heute mit ähnlichen Methoden verkauft wie die Omo-Umweltkugel.

Vorne drauf auf dem Cover lächelt auch keine Kuh von der Alm, sondern formatfüllend die blauäugige Ministerin. Trotz allem ist das Buch gar nicht mal so schlecht. Sagen wir es so: Nach heftigem Klopfen von Künast auf die Schultern von Künast wird das Buch ab der Mitte immer besser. Sobald Fakten über das große Güllefass der EU-Agrarpolitik, über Welthunger und Fischereikrise die Betroffenheitsprosa über ihre ersten Tage als Ministerin in den Hintergrund drängen, wird’s lesenswert und manchmal sogar richtig leidenschaftlich.

Zuerst aber gibt’s noch mal die wunderbare Geschichte, wie eine Berliner Großstadtgöre einmal abends in die Sauna gehen wollte und dann doch nicht dazu kam, weil Joschka, Fritze und der Kanzler sie plötzlich zur Ministerin für Verbraucherschutz und Landwirtschaft erkoren. Künast berichtet en détail über ihren spektakulären Einstieg auf dem Höhepunkt der BSE-Krise, über die ersten Amtstage, wie sie mit Prinz Charles ein Tässchen Tee trank, ihre Jungfernreden im Bundestag und vor Bauern hielt und wie sie auf der grünen Woche Kälbchen Peter streichelte.

Was dabei auffällt: kein Wort über ihren Amtsvorgänger, schon gar kein böses. SPD-Minister Karl-Heinz Funke, der für das BSE-Debakel entscheidende Verantwortung trug und der deshalb auch zurückgetreten wurde, wird höflich ausgespart. Stattdessen wird Stoiber gekeult: „Der Deutsche Bauernverband und vor allem Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber hatten lautstark jegliche Gefahr bestritten. Bis zuletzt stand Stoiber an der Spitze des Verharmloserkartells.“ Natürlich weiß auch Künast, dass an der Spitze der BSE-Vertuscher und Verleugner niemand anders als der amtliche Landwirtschaftsminister des rotgrünen Kabinetts stand, aber im Wahljahr muss man es nicht so genau nehmen.

Trotzdem: Künasts Buch ist nicht nur Wahlkampfmanöver. Es ist ebenso eine agrarische Faktensammlung. Und ein Bekenntnis der Ministerin für eine andere Art von Landwirtschaft. Damit kann man sie künftig beim Wort nehmen, falls sie nach dem 22. September noch im Amt sein sollte. Künast hat sich festgelegt, „weg von der Massentierhaltung“, auf einen neuen Qualitätsbegriff, für eine nachhaltige, ethisch vertretbare Landwirtschaft. Die Entwicklung läuft allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Auch in Deutschland und auch unter Künast wachsen die Bestandsgrößen an, werden die Ställe immer monströser.

Zuletzt hatte Ministerin Künast das Pech, dass mitten in die Aufbruchstimmung für ihre Agrarwende der Nitrofenskandal platzte (der erst nach Erscheinen ihres Buches losbrach). Wenn man heute mit dem Nitrofen- Background das Buch liest, dann erstaunt umso mehr, wie unkritisch sie die Biobewegung feiert. Natürlich hat das grüne Spektrum Sympathie für den Ökolandbau. Natürlich ist es richtig, ihn zum Leitbild der zukünftigen Landwirtschaft auszurufen. Aber man muss die Bioszene nicht nur fördern, sondern auch fordern. Man muss ihre Defizite etwa in der Geflügelhaltung benennen, wo die meisten Betriebe dieselben überzüchteten Eierlegemaschinen einstallen wie die konventionellen Betriebe. Wo es häufig ähnlich große Probleme mit Krankheiten gibt. Und ein mageres Biohähnchen schmeckt nicht immer besser als eines aus konventionellem Stall.

Der Nitrofenskandal hat zudem gezeigt, wie schwierig es wird, wenn die unter Wachstumsdruck geratenen Biobauern mit dem agrarindustriellen Komplex der alten Landwirtschaft kooperieren. Es wird dauern, bis die Biobranche eigene Strukturen für ein organisches Wachstum schaffen kann. Mit einem Turbowachstum auf 20 Prozent innerhalb weniger Jahre überfordert man auch die menschlichen Ressourcen.

Unbequeme Themen behandelt Künasts Buch kaum. So ist nichts zu lesen über den Streit um die Begrenzung der Mastprämien in der Bullenhaltung – hier schlug sich das Ministerium auf die Seite der Großbetriebe. Ein anderes brisantes Thema wird dagegen abgehandelt: das QS-Zeichen für Qualität und Sicherheit. Mit diesem Label soll künftig Spitzenqualität der Fleischerzeugung aus konventionellen Betrieben ausgezeichnet werden. Künast: „Es gilt strikte Qualitätskriterien festzulegen, die dem Tier- und Umweltschutz gerecht werden.“ Das ist das Gute an solchen Büchern. Man findet schöne Zitate und gleichzeitig eine Realität, die meilenweit von den Künast’schen Wünschen entfernt ist. Denn: Ihr Ministerium hat sich weitgehend zurückgezogen und es dem Handel, dem Bauernverband, den Fleischverarbeitern und der Futtermittelindustrie überlassen, die Kriterien dafür festzulegen, was als Spitzenfleisch das QS-Siegel tragen soll. Herausgekommen ist ein windiger Kriterienkatalog, der meist nur die Einhaltung der Gesetze verlangt. Antibiotika dürfen in der Ferkelaufzucht weiter eingesetzt werden, Gentech-Futter ist erlaubt, Verbesserungen in der Tierhaltung sind nicht erkennbar. Das QS-Zeichen, das Künast noch auf der Habenseite ihrer Bilanz verbucht, droht zum Fiasko zu werden.

Auch in Sachen Gentechnik vermag die grüne Ministerin nicht zu überzeugen. Ihr politisches Ziel: „Ich will eine breite gesellschaftliche Diskussion [über die grüne Gentechnik] organisieren.“ Diese Diskussion läuft bereits seit mehr als zehn Jahren. Ihr Ergebnis: In Europa lehnen satte 71 Prozent der VerbraucherInnen die grüne Gentechnik ab. Der Skandal ist, dass diese große Mehrheit nicht wie ein Souverän behandelt wird, der selbst entscheidet, was er in seinen Bauch hineinlässt. Sondern als Hindernis, das aus dem Weg zu räumen ist. Es braucht keine Diskussionen mehr, sondern endlich eine klare Kennzeichnung. Und mehr Respekt für demokratische Mehrheiten.

Abschließend muss man aber auch Künasts Verdienste etwa bei der Abschaffung der Batteriehaltung für Legehennen rühmen. Hier hat sie gute Arbeit geleistet, deren Strahlkraft weit über Eierfabriken hinausreicht. Hier wurden endlich auch die großen Eierbarone in die Schranken gewiesen. Und es gibt schlechtere Komplimente, als „Königin der Legehennen“ gerufen zu werden.

Renate Künast: „Klasse statt Masse“, 256 Seiten, Econ-Verlag, München 2002, 20 €