Verdrehte Jungs im Klanglabor

Der Regisseur Jörg Adolph hat die Band The Notwist während der Entwicklung ihres Albums beobachtet. Der Film „On/Off the Record“ (So, 21.15 Uhr, 3sat) zeigt viel Rumgesitze und beweist, dass Authentizität nicht zwangsweise informativ sein muss

von THOMAS WINKLER

Jungs sind schon seltsam. Stehen rum, lauschen, nicken, streichen sich übers Kinn, lauschen weiter, forschen einem Klang hinterher, als hänge davon zwar nicht ihr Leben, doch zumindest das Wohlbefinden der populären Musik ab. Selten zuvor ist jemand überzeugten Nerds mit der Kamera so geduldig auf den bärtigen Pelz gerückt wie Jörg Adolph: In „On/Off the Record“ gehen die Jahreszeiten ins bayerische Land, stapeln sich die Töne, während The Notwist im Klanglabor an der Fusion aus Indierock und elektronischer Musik tüfteln.

Adolph versucht den 15 Monate dauernden Prozess zu dokumentieren, in dem eine Band aus Weilheim bei München eine Platte namens „Neon Golden“ aufnahm. Als das Album im vergangenen Januar schließlich erschien, benutzten die Kritiker schamlos Wörter wie „Meilenstein“ und erzählten noch einmal die schöne Geschichte von der funktionierenden oberbayerischen Independent-Struktur, in deren Zentrum sich Notwist befinden, und die fast noch schönere Geschichte vom Brüderpaar Acher, das das Rückgrat von Notwist bildet, aber immer noch regelmäßig in der Dixieland-Kapelle von Papa zum Dorftanz aufspielt. Und als müssten all diese Geschichte ein Happy-End bekommen, stieg „Neon Golden“, jene Dissertation zum aktuellen Stand des Indie-Pop, sensationell hoch in den Charts.

Aber es ist keine dieser Geschichten, die Adolph erzählen will. Er will der Musik und ihrer Entstehung möglichst nahe kommen. Dazu benutzt er vor allem die Affirmation. Er weiß, dass die vier mehr oder weniger scheuen Musikanten keinerlei Wert auf ein geschärftes Medienprofil legen. Also hält er sich im Hintergrund, lässt die Kamera mitlaufen, stellt keine Fragen, inszeniert nicht und hofft, dass etwas passieren möge. Nur: Es passiert nichts. Zumindest nicht viel. Denn Musikmachen findet im Kopf statt, vielleicht im Herzen. Filmen kann man nur: Mikrofone aufbauen, flackernde Computerbildschirme, klimpernde Gitarristen, und immer wieder Menschen, die lange und andächtig Musik hören, um dann zu sagen, sie müsste sich irgendwie anders anhören. Tatsächlich kommt einem „On/Off the Record“ so vor, als bestünde der Beruf des Musikers im Großen und Ganzen aus Rumsitzen. Und so ist das wohl auch.

Der Film ist vor allem ein überaus authentisches Dokument einer überaus surrealen Profession: Immer wieder stehen Bandmitglieder, Produzenten und Gastmusiker herum, mal mit Bier in der Hand, mal ohne. Immer wieder hören sie just aufgenommene Musik. Immer wieder reiben sie sich auf an minimalen Veränderungen, sorgen sich um kleinste Details, bis Micha Acher schließlich fragt, in einem der wenigen Momente, in denen der Film nicht nur abbildet, sondern auch erzählt: „Oder verarscht ihr mich, und das ist zwei Mal dieselbe Version?“

Sie ist es natürlich nicht, denn Notwist machen keine Witze. Sie nehmen ihre Aufgabe, die schönste Musik zu schaffen, die ihnen möglich ist, sehr ernst. Sie nahmen diese Aufgabe so ernst, dass ihnen nach 15 Monaten ihr komplexes Material über den Kopf zu wachsen drohte und sie in die Londoner Abbey-Road-Studios fuhren, um die letzte Mischung in die Hände einer Produzenten-Legende zu legen. Im Film kann man Bilder von dieser Reise sehen, aber ihren Zweck, die Not, aus der sie geboren wurde, wird nicht erklärt. Die Affirmation als oberstes Prinzip war nötig, um der Band erst einmal nahe kommen zu können. Das Ergebnis dieser allzu großen Nähe aber ist nun, dass der Film nur die eh schon Eingeweihten an seinem Thema teilhaben lässt. Wer die Geschichte von The Notwist und von „Neon Golden“ kennt, der bekommt hier die Urlaubserinnerungen im Video-Format nachgereicht.

Wem The Notwist bis jetzt nichts bedeutet haben, dem wird sich die kleine Welt der Weilheimer durch diesen Film erst recht nicht erschließen. Nicht einmal die wundervolle Musik von „Neon Golden“ bekommt den Raum, den sie verdient: Kein Song wird ausgespielt. „On/Off the Record“ ist so nur ein Produkt des Nerdtums, ein Film von einem Jungen über Jungs für Jungs.