Schmutzige Wäsche

Die Treppe zur Macht ist steil und gut gebohnert: Der Film „Rufmord – Jenseits der Moral“ von Rod Lurie erzählt, was geschieht, wenn eine Frau US-Vizepräsidentin werden soll. Es werde Gleichheit

Ein aufgegeilter Kampf gegen das Krebsgeschwür der Gleichberechtigung

von MANFRED HERMES

Die Interieurs des Imperiums sind traditionsgesättigt und äußerst elegant. Auch die schärfsten Klagen und die bittersten Tragödien dämpfen sich hier zu einem matten Seufzer ab. Das Zeremoniell macht es deutlich: Die Hierarchien sind fest gefügt. Nun ist aber der Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika tot, eine hohe Position vakant. Die erste Wahl, ein Mann, scheidet aus. Laine Hanson steht an zweiter Stelle. Präsident Jackson Evans, ein Demokrat, kann sich bei dieser Gelegenheit von seiner innovativen Seite zeigen, denn Hanson wäre die erste Frau in diesem Staatsamt.

Damit tritt er gefährliche Oppositionen los, die auf Werte wie Selbstverständlichkeit, Beständigkeit und Tradition setzen, wo nur die eigenen Privilegien verteidigt werden sollen. Ein Vertreter der Vorstellung, dass die Treppe zur Macht gerade für Frauen möglichst steil und gut gebohnert bleiben sollte, ist Shelly Runyon. Der Republikaner steht nicht allein, auch Hansons Parteikollegen sind nicht geschlossen auf ihrer Seite. Laine Hanson, als Frau vereinzelt, wird immer mehr von einem gut eingespielten Männernetzwerk gegen die Wand gedrückt. Damit hat „Rufmord“ denn auch die Motive für einen Kampf beisammen, der gerechter hollywoodesk nicht sein könnte.

Als Vorsitzender der Benennungskommission kann Runyon die Modalitäten der Hanson-Bewerbung bestimmen. Er entscheidet sich für das Waschen schmutziger Wäsche. Man sucht belastendes Material und findet Fotos, die über Hansons Rolle in einem studentischen gang bang keinen Zweifel lassen. Besser hätte der Schlag nicht platziert sein können. Neben Peinlichkeit und persönlicher Kränkung trifft er auch noch in einem anderen Punkt ins Schwarze: Wer sich von der herrschenden Meinung gedeckt fühlt, kann die Teilbarkeit von Moralvorstellungen voraussetzen: Frauen wird nicht dasselbe zugestanden wie Männern. Hanson ist zwar bloßgestellt, kämpft aber gegen alle Versuche an, sie auch noch einzuschüchtern. Sie will sich mit Sachfragen profilieren und weigert sich, eine Sexgeschichte aus der Vergangenheit als legitimes Thema in einem Nominierungsverfahren der Gegenwart anzuerkennen.

Aber das Flüstern in den Gängen, diffus versprühte Gerüchte, der Einsatz anspielungsreicher Zwischentöne und gezielter Aggressionen, das Lavieren zwischen Jovialität und Niedertracht entfalten die Wirkung, die sie entfalten sollen. Der veränderte Blick der direkten Umgebung und der breiten Öffentlichkeit bohrt sich in Hanson ein und stellt sich ihr als Frage nach dem politischen Überleben.

Wo die Politik zum Krieg mit anderen Mitteln wird, wo aus Wörtern Waffen und Hierarchien auch körperlich werden, da haben es Schauspieler gut. Joan Allen hat bereits in Filmen wie „Nixon“, „Pleasantville“ oder „Der Eissturm“ das Bild der bis zur Verklemmtheit beherrschten Gattin perfektioniert. In „Rufmord“ kann sich diese Errungenschaft nun in der einzelkämpferischen Rolle modernisieren.

Noch mehr kann allerdings Gary Oldman von seiner Rolle profitieren. Wenn Runyon sich gegen das „Krebsgeschwür der affirmative action und Gleichberechtigung“ und jede gesellschaftliche Veränderung stellt, dann spielt sich da ein Überzeugungstäter auf, der Scheinheiligkeit und Versteinerung für sich gepachtet hat. Unglaublich aufgegeilt und nuancenreich füllt Oldman Runyons republikanische und hinterhältige Seiten mit Leben und weckt dadurch Erinnerungen an die großen Reaktionäre, die Fredric March in „Wer den Wind sät“ oder Jason Robards in „Philadelphia“ gespielt haben.

„Rufmord“ steht breitbeinig in der Tradition der großen amerikanischen Bürgerrechtsfilme. Aber wie so oft, wenn der Hollywoodfilm dem Staatsapparat etwas zu nahe kommt, bleiben politische Irritationen nicht aus. Die Demokratie ist das System, das vor die Beweglichkeit den Interessenausgleich gesetzt hat, während die elektronischen Medien ihren Hang zum Populismus immer weiter verschärfen. Unter diesen Bedingungen und um im Bereich dieses Films zu bleiben, ist die Gleichstellung von Frauen auch in den oberen Etagen der Macht durch einen politischen Kampf allein nicht zu schaffen.

„Rufmord“ zieht daraus einen prekären Schluss, über den man dennoch erleichtert lacht. Ein Präsident, weise wie ein König, konsequent wie ein Diktator, schreibt es dem Geschichtsbuch höchstpersönlich in die Seiten: Im Namen des Fortschritts, es werde Gleichheit.

„Rufmord – Jenseits der Moral“. Regie: Rod Lurie. Mit Joan Allen, Gary Oldman, Christian Slater u. a. Frankreich/ USA 2000, 126 Min.