War da was?

Sie werden uns nicht fehlen. Ein tränenfreier Nachruf aus der Provinz auf die „Berliner Seiten“ der „FAZ“

OSNABRÜCK taz ■ Zugegeben – Berlin stieß mal auf Interesse hier draußen im äußeren Westen der Republik. Damals schien die Mauer unverrückbar und bot sich an als prima Kulisse für Fotoaufnahmen und Experimentalfilme. Westberlin spielte ein bisschen wehleidig die Schwerkriegsbeschädigte, doch längst erblühte neues Leben zwischen den Ruinen.

Zeitweilig konnte, wer Glück hatte, auf nächtlichen Streifen David Bowie, Iggy Pop oder den aufstrebenden Grünschnäbeln von Depeche Mode begegnen. Die am Tropf hängende, darum zur Bescheidenheit verpflichtete kapitalistische Exklave war eine von graffitiverzierten Mauern umfasste Arena und ihr Kulturleben so interessant, dass man in der Provinz regelmäßig Berliner Stadtmagazine las, um auf dem Laufenden zu bleiben.

Nun aber ist Berlin lang schon Hauptstadt, es hat sich aufgeputzt und hergerichtet und den Lemmingen dieser Republik Betten hingestellt. Was früher Provinzboheme war, lungert und lauert heute im Inneren des S-Bahn-Rings und ist mehrheitlich damit befasst, nach außen zu vermelden, was sich alles zuträgt im neuen Wirkungsraum.

Schwer en vogue

Noch mal so wie in den 20er-Jahren soll es sein, quirlig und modern, allzeit schwer auf dem Quivive und en vogue sowieso. Dazu passt die Figur des beobachtenden Flaneurs und nimmermüd umherschweifenden Kundschafters, des Bericht erstattenden Nachtbummlers und allgegenwärtigen Gesellschaftsreporters. Doch was damals aus der Zeit geboren wurde und noch im lässigen Sichtreibenlassen Haltung bewies, ist heuer nur noch dürftige Nachahmung und abgeschmackte Pose.

Wo keine Bedeutung besteht, muss welche aufgeschäumt werden, nicht zuletzt, um die eigene Anwesenheit zu rechtfertigen. So wurden pure Nichtigkeiten zur Verhandlungssache der Feuilletons und bekamen allein deshalb popkulturelle Bedeutung zugesprochen, weil sie in Berlin stattfanden. Die minderste Schwachmaten- und Wichtigtuerprosa ging als Literatur durch, wofern sie nur in Berlin angesiedelt ward oder doch zumindest dort niedergetippt wurde. Nur weil in einem fort diese Schwärme von schreibenden, aufnehmenden, filmenden Korrespondenten durch Berlin stromern, musste sich die Republik mit vollends bedeutungslosen Hohlfiguren wie Ariane Sommer und Shawne Borer-Fielding bekannt machen lassen. Ansonsten schreibt die zugereiste Blase über ihresgleichen, nimmt das eigene beschränkte Milieu fürs Ganze und maßt sich an, auf diesem Wege Restdeutschland mit verbindlichen Verhaltensregeln zu versorgen.

Nun, da die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihre „Berliner Seiten“ eingezogen hat, wird man ein bisschen weniger dieses Humbugs vorgesetzt bekommen. Darüber jaulen und jammern vor allem die Feuilletonisten und Medienredakteure ähnlich streberhafter Mitbewerber, ein inzestuöser Klüngel, der eben hauptsächlich für seinesgleichen, aber selten für Angehörige des gemeinen Volkes schreibt.

Hier, am anderen Ende des Landes, wo den Untertanen die Niederlande nicht nur geografisch näher liegen als Berlin, wo man in Amsterdamer In-Points schon zu Weisen getanzt hat, die von Berliner Trendschnüfflern erst ein halbes Jahr später als dernier cri verpfiffen wurden, ist man am blasierten Getue, eitlen Gewusel und selbstgefälligen Geschreibsel der endlich wieder zentralistisch gestimmten Spreemenschen weit weniger interessiert, als in den dortigen Redaktionsstuben snobistischerweise angenommen wird.

Unbemerkter Tod

Manch einer, so das Ergebnis einer schnellen, nicht repräsentativen Umfrage, hat noch nicht einmal vernommen, dass es so etwas wie „Berliner Seiten“ überhaupt gibt. Beziehungsweise gab.

Uns Provinzlern, Ländlern, dem Postulat der mobilen Gesellschaft willfahrenden flotten Grenzgängern gebricht es also an nichts, wenn sie fortan nicht mehr erscheinen. Hätte es nicht eine Notiz auf der kleinen Medienseite unserer Lokalzeitung gegeben, viele von uns hätten ihr Verschwinden nicht einmal bemerkt. HARALD KELLER