Fragwürdiges Fest für Ekeko

Bolivien ist ein Land mit vielen Ethnien, die sich über die Zeit eher gegeneinander denn miteinander entwickelt haben: Das Goethe-Institut in La Paz sieht sich als neutrales Forum, das hier vermittelt

von CRISTINA NORD

Ins Ojo del Agua, den angesagtesten Club in La Paz, gelangt man über eine Galerie und eine Freitreppe. Unten die Leiber der Tänzer, eine heterogene Masse in Bewegung. Beine und Arme heben und spreizen sich im rechten Winkel, wie es der Plan dieser Musik fordert, einer andinen Musik, rhythmisch und stampfend, frei von elektronischen Elementen. Dennoch findet ein Rave statt, eine Ekstase in der sonst so nüchternen bolivianischen Hauptstadt, wo man sich abends mit Freunden nicht auf ein Bier, sondern auf eine Tasse Tee trifft. Im Ojo del Agua wird das Bier in Einliterflaschen herumgereicht, auf Tischen am Rande des Saals stehen Schalen mit Koka, viele Gäste kauen die grünen Blätter. Meine Begleiterinnen, drei Frauen um die vierzig, unter ihnen eine bekannte TV-Journalistin, sind zwar in La Paz geboren, haben hier die Schule und die Universtität besucht, doch auf dem Weg ins Ojo del Agua verfahren sie sich mehrmals. Offenbar ist viel Zeit vergangen, seit sie zum letzten Mal in den Straßenzügen hinter der Plaza San Francisco unterwegs waren. Ein Gebiet, nicht weit von der Innenstadt entfernt, aber fest in Hand der Aymara, eine fremde Welt, mit der die Criollos, die europäischstämmige Mittel- und Oberschicht des Landes, nicht viel teilen.

Bolivien ist ein gespaltenes Land. Ein Ort wie das Ojo del Agua mag die Trennung aufheben, insofern er für die Dauer einer Freitagnacht Gemeinsamkeiten und Berührungsflächen für indigene und europäischstämmige Bolivianer anbietet. Jenseits davon sind die Grenzen intakt: Wer etwas zu sagen hat in dem südamerikanischen Land, hat europäische Vorfahren. Wer Aymara ist oder Quechua oder Guarani, nimmt – mit wenigen Ausnahmen wie dem ehemaligen Vizepräsidenten Victor Hugo Cardenas – an politischen Entscheidungsprozessen nicht teil. Es sei denn, er schließt sich den Protesten an, die in den letzten Monaten das Land immer wieder lahm gelegt haben, durch Blockaden, die mal die Straßen von La Paz in den Altiplano, mal die Zufahrtswege zu der Stadt Cochabamba sperrten und zu Versorgungsengpässen führten. Polizei und Militär reagierten nicht eben zimperlich: Immer wieder kamen Protestierende um. Bei den Präsidentschaftswahlen am vergangenen Sonntag kandidierten nun erstmals zwei Kandidaten indigener Herkunft, Felipe Quispe alias El Mallku für das Movimiento Indígena Pachacuti und Evo Morales für das Movimiento al Socialismo. Morales erzielte einen Überraschungserfolg: Er erhielt gut 18 Prozent der Stimmen und erlangte damit den dritten Platz. Quispe konnte 5 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Beide Kandidaten wurden im Vorfeld vom Establishment dämonisiert, Quispe wegen seines ethnizistischen Fundamentalismus, Morales, weil er die aufständischen Kokabauern anführt (er wurde deswegen Anfang des Jahres aus dem Parlament ausgeschlossen, kürzlich warnte der US-amerikanische Botschafter Manuel Rocha vor ihm). Weil beide Politiker aus ihrer Skepsis gegenüber Neoliberalismus, Währungsfonds und Weltbank keinen Hehl machen, haben sie unter europäischen Globalisierungskritikern Freunde. José Bové etwa gab der linken Zeitschrift El juguete rabioso ein Interview, in dem er Morales Bewegung mit den mexikanischen Zapatisten verglich. Dass die Bauern, die hinter Morales stehen, nicht nur Koka zur Herstellung von Tee und zum Kauen anbauen, sondern auch den Rohstoff für die Droge, verschleierte Bové, indem er von der jahrhundertealten Tradition des Kokaanbaus schwafelte.

Die Wahrheit liegt in der Mitte: Verzichteten Quispe und Morales auf das Druckmittel massiven Protests, hielten sie sich an demokratische Spielregeln, indem sie etwa Petitionen einreichten oder Anträge stellten, man nähme sie erst gar nicht wahr – das sagt sogar ein Vertreter des Establishments wie Juan Carlos Rocha, leitender Redakteur der Tageszeitung La Razón. Dass etwa Quispe im März Politiker zu einem Treffen auf sein Terrain, auf die Sonneninsel im Titicacasee, bestellte, um sie mit seinen Forderungen zu konfrontieren, wäre ohne den Furor der Blockaden nicht denkbar gewesen. Darin liegt das Dilemma einer Gesellschaft, die auf Jahrhunderte der Segregation zurückblickt. Doch idealisieren sollte man deswegen weder Quispe noch Morales: Eine Solidarität, die sich ein paar globalisierungskritischen und USA-feindlichen Parolen verdankt, sich aber den populistisch-caudillistischen Seiten der Favorisierten gegenüber als blind erweist, führt zu nichts: In Quispes Schriften ist schon mal von „spanischen Blutsaugern“ die Rede, von Reinheit und Unreinheit und davon, dass das Land schon immer den Aymara gehört habe, sie also einen legitimen Anspruch darauf hätten.

Bolivien sei „ein Land mit vielen Ethnien, die sich über die Jahrhunderte eher gegeneinander denn miteinander entwickelt haben“, sagt Peter Panes, der Leiter des Goethe-Instituts in La Paz. Auch wenn die Tragweite von Quispes Fundamentalismus ganz anders ausfalle als die des islamistischen Fundamentalismus, so gebe es doch „strukturelle Ähnlichkeiten“. Für Panes leitet sich daraus ein Auftrag ab, der über das Abspielen deutscher Autorenfilme und die Gastauftritte von Musikern und Theatergruppen weit hinausweist. Das Institut in La Paz will „ein neutrales Forum“ bieten „für Auseinandersetzungen, die an einem anderen Ort nur parteiisch sein könnten“. Panes organisiert Veranstaltungen zur Erziehungsreform und zur Anerkennung der indigenen Sprachen Aymara und Quechua. Im vergangenen Dezember stand eine Tagung zum Thema interkulturelle Philosophie auf dem Programm, eingeladen waren auch Vertreter des indigenen Fundamentalismus. „Von der Frankfurter Schule bis hin zu aus westlicher Sicht esoterisch anmutenden Verfechtern der andinen Kosmovision“ hätten die Positionen gereicht. In Santa Cruz, der Millionenstadt im Tiefland, genießt das von Jutta Weber geleitete Centro Cultural Boliviano-Alemán Aufwind, seit es sich mit dem Kulturinstitut der Alliance Française vereint hat. Carole Brunie, die Leiterin des französischen Zweigs, treibt Austauschprogramme voran, die indigene Textilarbeiter mit französischen Modedesignern zusammenbringen: eine Quelle wechselseitiger Inspiration und wechselseitigen Lernens.

Es liegt auf der Hand, dass durch solche Programme allein die Spaltung der bolivianischen Gesellschaft nicht aufgehoben werden kann. Bolivianische Kulturschaffende und -funktionäre jedenfalls begrüßen die Arbeit der auswärtigen Kulturinstitute und besonders die des Goethe-Instituts. Nur selten regt sich leiser Zweifel: Antonio Eguino, Filmemacher und scheidender Vizeminister für Kultur, fragt, ob es so gut sei, wenn die Deutsche Botschaft dem Ekeko, einer indianischen Gottheit, ein Fest ausrichte.