documenta 11 spot
: Thomas Hirschhorns „Bataille Monument“

Künstler, Arbeiter, Soldat

In Zeiten raffinierter und hochtechnologischer Auseinandersetzungen mit der Welt und ihren Bildern gleicht Thomas Hirschhorns künstlerische Praxis einem mit primitiven Mitteln geführten Kampf. „Ich bin Künstler, Arbeiter, Soldat“, sagt der 45-jährige Schweizer, „ich kämpfe gegen Ungerechtigkeit und gegen Ungleichheit“; mit Schere, Klebstoff, Holz, Karton, Plastik- und Aluminiumfolie sowie jeder Menge Presse- und Werbebildern und fotokopierten Texten. Dazu zählt auch die Strategie, zuerst die Kritik mit schlagenden Slogans wie „Energie ja, Qualität nein“ zu entwaffnen.

Zum Schauplatz seines documenta-11-Kampfes hat Hirschhorn die Friedrich-Wöhler-Siedlung im Nordosten von Kassel gewählt. Erst an der Peripherie nehmen „soziale Realität“ oder „Migration“, also die Lieblingsbegriffe des theoretischen Diskurses, der die documenta umspült, konkrete Gestalt an. So zeigte neulich eine Fernsehreportage, wie eine nordamerikanische, sich selbst als „Hirschhorn-Süchtige“ bezeichnende Sammlerin mit zitternden Fingern die Tätowierung eines männlichen Mitglieds des „Boxcamp Philippinenhof“ bewunderte, das Hirschhorn für den Aufbau und die Betreuung seines Projekts engagiert hat. Schon einige Monate vor Ausstellungsbeginn wurde auf einer Stellwand im Zentrum der Siedlung ein Text plakatiert, der die Bewohner über Hirschhorns Pläne für sein „Bataille Monument“ informierte, und der, damit ihn alle lesen konnten, auch ins Türkische, Russische, Polnische, Albanische, Serbische, Arabische und Eritreische übersetzt wurde.

Das für den französischen Schriftsteller und Philosophen Georges Bataille (1897–1962) im öffentlichen Raum errichtete Monument ist das dritte in einer Reihe von vieren. Der Zyklus ist eine Hommage an die von Hirschhorn bewunderten Denker Spinoza, Deleuze, Bataille und Antonio Gramsci, für den ein weiteres Monument entstehen wird. Wie bei Hirschhorns bisherigen Arbeiten zeichnet sich auch das „Bataille Monument“ durch seinen prekären, zeitlich begrenzten Charakter aus. Hier wird nicht für die Ewigkeit gebaut und niemand soll eingeschüchtert werden. „Meine Arbeit enthält für jeden etwas, und wenn es eben die Wurst im Imbissstand ist“, sagte Hirschhorn, als er sein Projekt Anfang des Jahres in einem Seminar für Kunstgeschichte der Humboldt-Universität präsentierte.

In der jetzt von einem türkischen Paar betriebenen Imbissbude des „Bataille Monument“ können die Besucher nun also Döner kaufen. Der Imbiss bildet eines der acht Elemente, aus denen das „Bataille Monument“ besteht. Dazu zählen weiter ein Fahrdienst, der sowohl die documenta-Besucher zu der Siedlung wie auch die Einwohner zur documenta fährt, und eine Webseite www.bataillemonument.de, die das Geschehen am Ort weltweit dokumentiert. Die mit Spanplatten und Plastikfolien rudimentär gebauten, aber organisch wirkenden übrigen Elemente sind in derSiedlung verstreut und dienen jeweils als Bibliothek, Ausstellungsraum sowie Workshop und TV-Studio.

Wie auf einer „fête populaire“ sind alle Elemente untereinander mit Lichterketten verbunden. Die Betonung unausweichlicher und komplexer Zusammenhänge mit einfachen Mitteln ist ein Markenzeichen von Hirschhorn. Auch in Batailles Werk hängt vieles miteinander zusammen: Ökonomie, Politik, Literatur, Kunst, Archäologie und Erotik. Das Werk dient Hirschhorn „als Vorbild und als Vorwand“ und liefert mit dem in ihm entwickelten Prinzip der „maßlosen Verausgabung“ das überzeugendste Stichwort zu Hirschhorns documenta-Beitrag. YVES ROSSET