Ein Film voller Sehnsucht und Verzweifelung

Regisseur Gerd Conradt bringt seinen Film „Starbuck Holger Meins“ eigenhändig ins Bremer Cinema: „Ich will mit Originaldokumenten und Zitaten neugierig machen auf die Zeit des deutschen Vor-Herbstes. Wir sind mit dem Thema Globalisierung wieder an einem solchen Punkt“

Ein erfülltes Leben? Ein Gescheiterter? Ein Erfolgloser? Ein Verlierer? Ein Schuldiger? Kein Vorbild!

Eine schon etwas ergraute 60jährige bringt in der Diskussion nach dem Film zur Sprache, worauf Regisseur Gerd Conradt gehofft hat: „Heute stehen wir wieder an so einem Punkt.“ Die Frau ist gefesselt von den Worten Rudi Dutschkes, ausgestoßen über der gestreckten Faust am Grab von Holger Meins: „Holger, der Kampf geht weiter.“ Gretchen Dutschke schlägt den Bogen zum Thema: Globalisierung. Das war das Ziel: mit der Dokumentation „Starbuck Holger Meins“ eine Brücke zu schlagen vom deutschen Vor-Herbst zu heute.

Gerd Conradt bringt seinen Film höchstpersönlich nach Bremen ins Cinema – am ersten US-Nationalfeiertag nach dem 11. September. Die 68-er sind ohne Vietnam, ohne Kritik an Amerika nicht denkbar, der Terrorismus hat durch den 11. September neue Aktualität bekommen. Man kann glauben, dass dadurch das Interesse auch an deutschen Wurzeln wächst. Ein guter Zeitpunkt also für einen Film über einen aus der 1. Generation, oder? Doch der Tag ist zufällig, die Geschichte von Meins und Conradt beginnt an der Deut-schen Film- und Fernsehakademie 1966, Conradt hat ein Buch über ihn geschrieben, der Film entstand in vier Jahren. Der Regisseur bedient das Klischee der wilden Kommunarden. Conradt: „Es entstand so etwas wie Freundschaft. Wir hatten auch mal dieselbe Freundin, lagen auch mal zu dritt im Bett.“Nichts besonderes eben, im 68er-Berlin. Nach vier Jahren ist damit Schluss. Meins bricht mit allem: mit seiner gesicherten Kindheit in Hamburg, mit vielen Jahren bei den Pfadfindern, mit einer Zukunft als Künstler, als Maler, als begabter Filmema-cher. Er wird Mitglied der Bader-Meinhof-Gruppe. GudrunEnsslin verpasst Holger Meins den Decknamen „Starbuck“nach einer Figur aus Melvilles „Moby Dick“. Der erste gefälschte Ausweis Holger Meins lautet auf „Günter Jahn, wohnhaft Bremen, Pappelstraße 98“. Im Gefängnis wird Meins zum Symbol der Hingabe zum Fanatismus. Er hungert sich zu Tode, Anwalt Otto Schily spricht von einer Hinrichtung auf Raten, Kanzler Helmut Schmidt erklärt, dass „die gewalttätige Gruppe schon die Unannehmlichkeiten eines Gefängnisses auf sich nehmen müsse.“ Gerd Conradt hat seinen Film gemacht, weil er nicht akzeptieren wollte, dass Holger Meins aus der Geschichte getilgt wird. Er schätzt ihn als künstlerische Begabung, bringt viele Originaldokumente. Er will ihn als Menschen präsentieren und lässt deshalb viele Weggefährten zu Worte kommen, die mehr zu berichten haben als den politischen Kampf: Michael Ballhaus, Wolfgang Petersen, Harun Farocki oder Peter Lilienthal. Besonders eindrucksvoll gelingt das dem biederen Vater Wilhelm Meins, der unerschütterlich zu seinem Sohn steht, der von Misshandlungen durch die staatlichen Behörden berichtet, authentisch und bedrückend. Im Dunkeln müsste eigentlich die Zeit im Untergrund bleiben, weil naturgemäß keine Originaldokumente vorliegen. Eine Freundin gibt Auskunft, will aber ananym bleiben: „Benutze meine Worte, aber ich will nicht in Erscheinung treten.“ Mit dem Kunstgriff des Einsatzes einerSchauspielerin, die unerkennbar im Diffusen bleibt, gelingt es Conradt, auch diese Zeit zu beleuchten. Insgesamt gelingt es Conradt, dem Menschen Holger Meins durch den Film mehr Gestalt zu verleihen als sie in der oberflächlichen Erinnerung verbunden ist mit dem Bild seiner Verhaftung, schreiend in Unterhose, oder liegend auf dem Totenbett, abgemagert, mit wallendem schwarzen Bart, Märtyrer und Che. Wenn im Film Gretchen Dutschke den Bogen schlägt zur Gegenwart, drängt sich die Frage auf: taugt dieser Holger Meins als Beispiel oder ist er nur ein Verlierer, ein Gescheiterter, ein Erfolgloser, ein Schuldiger?

Conradt will darauf keine Antwort und er gibt sie doch. Sein Blick ist mit Interesse, aber ohne Wärme, seine Bilder liefern Fülle, aber sie setzen zu viel voraus für diejenigen, die nicht dabei waren oder nicht schon interessiert sind. Holger Meins bleibt ein düsterer Fanatiker, der bindungslos vor allem sich selbst besiegt, indem er sich selbst zerstört. Und dabei einen kleinen Sieg feiert, weil der Staat nicht angemessen auf seine Provokation reagiert. Man mag alle Wege der einstigen Gefährten in Frage stellen: den verzweifelten des Holger Meins, den des Filmemachers Gerd Conradt, den desInnenministers Otto Schily. Sicher ist aber, dass der kurze Weg des Holger Meins keine Antwort für diejenigen bereit hält, die heute mit dem Begriff „International“ kein Kampflied verbinden, sondern das große Thema der Globalisierung.

Hermann Kleen