Roots Rock Dudelsack

Mainstream der nationalen Minderheiten: Polen war der Schwerpunkt beim Tanz- und Folkfestival Rudolstadt

Ein polnischer Highlander rappt in Schäfertracht, daneben tanzen drei weiß gekleidete Frauengeister und schwenken Kuhglocken zu funky Gitarrenriffs. „Ethno-Techno“ nennt sich diese Kollaboration von Tribunie Tutki, der ältesten Volksmusikgruppe Polens, mit der Funk-Jazz-Band Kinior Future Sound. Niemand weiß genau, was dabei ernst gemeint ist und was nicht.

Polen war in diesem Jahr Schwerpunktthema beim Tanz- und Folkfestival (TFF) im thüringischen Rudolstadt. Die Veranstalter reagieren damit auf den bemerkenswerten Folk-Boom, der im Nachbarland seit einigen Jahren ausgebrochen ist. Ein Boom, der überraschend kam, aber vielleicht doch zwangsläufig war.

Jahrzehntelang kümmerten sich vor allem aufgemotzte kommunistische Staatsensembles um die alten polnischen Tänze und Lieder. Das Volk hörte stattdessen lieber amerikanischen Jazz und britischen Beat. Zwar kam es in den 80er-Jahren zu einer ersten Folk-Welle, doch spielten polnische Bands damals vor allem keltische Jigs oder – ganz seltsam – Musik aus den Anden. Erst der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus öffnete Anfang der 90er-Jahre den Weg zu einem polnischen Folk-Revival von unten.

„Die polnische Folkszene ist explodiert“, sagt die Journalistin Malgorzata Jedruch vom polnischen Radio. Sie freut sich, dass es hier nicht um einen nationalistischen Aufbruch geht, sondern die neue Folk-Bewegung auch für polnische Minderheitskulturen offen ist. In Rudolstadt war zum Beispiel die Newcomer-Band Swoja Droga zu sehen, die Feldforschung in der benachbarten Ukraine betrieb. Oder die Kracow Klezmer Band, die jüdische Spielmannstraditionen – wie das Vorbild Kroke – mit schwermütigen Jazzimprovisationen mischte.

Doch die TFF-Macher luden erstaunlich wenige der jungen Bands ein. Sie setzten vor allem auf das Projekt „Aus Polens Dörfern“, bei dem zum Beispiel eine ehemalige Kolchosen-Kapelle spielte oder die Gruppe Maluga, die eine im Westen noch unbekannte Dudelsack-Kultur Polens vorstellte.

Im Alltag praktizierte Musik- und Tanztraditionen gibt es in Polen aber nur noch in der hohen Tatra in Südostpolen. Dorther kommen auch Tribunie Tutki, die als Familienband schon seit den 20er-Jahren zu Hochzeiten und anderen Festen aufspielen. Ihr mit Äxten getanzter „Tanz der Gesetzlosen“ erinnert an die Wegelagererkultur in dieser einst besonders armen Gegend. Die langen Schäfermäntel und die pittoresken schwarzen Hüte mit weißen Federn tragen sie aber auch bei ihren Fusion-Projekten, etwa mit der Londoner Reggae-Band Twinkle-Brothers, mit Dub-Grandfather Adrian Sherwood und nun mit Kinior Future Sound. Mit ihrem „Reggae in a Polish Style“ wurden sie Anfang der 90er-Jahre nicht nur in der westlichen Weltmusik-Szene bekannt, sondern auch in ihrem Land. „Damals galt in Polen etwas noch als besser, wenn es im Ausland veredelt worden war“, erinnert sich Bandleader Krzysztof Trebunia-Tutkia.

Dass der „Focus Regional“ beim TFF diesmal auf dem Ruhrgebiet lag, passte wegen der vielen polnischen Arbeitsmigranten zwar gut, war aber eher ein Zufall. Im Ruhrgebiet begann das deutsche Folk-Revival Anfang der 70er-Jahre. Damals wurden die alten Bergarbeiter-Lieder gerne von linken Liedermachern wiederentdeckt.

Frank Baier, ein Vorkämpfer aus dieser Zeit, ist immer noch aktiv. In Rudolstadt trat er nicht nur mit Mundharmonika und Ukulele auf, sondern auch mit der Polit-HipHop-Gruppe Sons of Gastarbeita. Der Flow war zwar noch etwas holprig, aber wenigstens verstand man den Text – wer eine Botschaft hat, spricht eben gerne etwas deutlicher als der gemeine Jung-Rapper.

Das TFF Rudolstadt ist vielleicht nicht das größte, aber jedenfalls das vielfältigste Folkfestival Europs mit 16 parallelen Bühnen und 60.000 Besuchern. Neben einigen „Stars“ – Susheela Raman, Hoven Droven, Willy DeVille – und den vielen privaten Entdeckungen gab es auch die erste Verleihung des neu konzipierten Deutschen Folkpreises zu sehen. Die „Ruth“ – so der an „roots“ angelehnte Name des neuen Preises – wurde in drei Kategorien vergeben: eine „deutsche Ruth“ für die jiddischen Lieder von Daniel Kempin, eine „globale Ruth“ für die Balkan-Klezmer-Blaskapelle Di Grine Kuzine aus Berlin und die „Fusion-Ruth“ für das elektronische Projekt Törnmeister aus Köln.

CHRISTIAN RATH