Der lange Marsch zum Geld

Längst steht fest, dass anspruchsvolle Dienstleistungen im Web nicht mit Werbung allein finanziert werden können. Aber Surfer sind geizig, außer Sex lässt sich noch immer fast nichts verkaufen

von DAVID HILTERMANN

Bald blüht nicht mehr viel in der ausgezehrten Landschaft kommerzieller Online-Medien. Der Regen der Investorengelder ist längst Geschichte, die Werbegelder tröpfeln nur noch, und die finanzielle Zuwendung der User … – ach, die User sind die Letzten, die den Verfall stoppen. Sie zahlen ja nicht. Nun haben sie sogar www.sharper.de, ein ehrgeiziges Projekt der Verlagsgruppe Handelsblatt, eingehen lassen. Das ist insofern bemerkenswert, als der Dienst in Beinahe-Echtzeit das Börsengeschehen ins Haus brachte. Eigentlich eine sichere Bank, denn Aktien waren neben Sex das Einzige, was im Netz Zugriffe und damit auch einträgliche Bannerpreise garantierte.

Jedenfalls bis zum 11. September 2001. Sharper ging am 18. online. Da interessierten sich die meisten Menschen für den „Krieg gegen den Terror“. In den Folgemonaten rutschte das Wort „Sex“ aus den Top-Ten-Begriffen der Suchmaschinen – und die Schaltung von Werbebannern in den Keller. Die Site hatte zwar einen ganz ordentlichen Zulauf. „Doch von unseren rund 30.000 registrierten Usern hat nur ein Bruchteil unsere kostenpflichtigen Abodienste bezogen“, sagt Chefredakteurin Stefanie Burgmaier: ein Branchenbrief zu Biotechnik und Chemie sowie „sharper.voiceblitz“, brandaktuelle Börsennachrichten fürs Telefon.

Exklusive Kanäle

Eigentlich die zwei typischen Strategien, um Inhalte im Netz mit dem Mehrwert zu versehen, der den User zahlungswillig machen soll. Die erste hat in der Vergangenheit durchaus funktioniert: Brancheninterna oder exklusive Neuigkeiten aus einer als wichtig empfundenen Community ließen sich per Newsletter mit Gewinn verkaufen. Hierzu könnte man auch den Versuch des Spiegels zählen, seine Titelgeschichte jeweils zwei Tage vor Erstverkauf der gedruckten Ausgabe im Netz zu verkaufen. Die Aussicht, etwas früher zur Gemeinde der Spiegel-Titel-Leser zu gehören, reißt aber noch nicht allzu viele mit.

Die zweite Strategie ist schwieriger: Die Information soll mit Hilfe technischer Finessen („Tools“) oder neuer Kommunikationskanäle aufgewertet werden. Eine frühere Spielart dieser Philosophie waren so genannte „Push“-Dienste, die maßgeschneiderte Informationen direkt beim Nutzer abliefern sollten. Obwohl sie vor drei, vier Jahren floppten, bekommen sie nun eine zweite Chance. Ein Beispiel ist der kostenpflichtige Service „myNZ“ der NetZeitung, die sich als ganz normale Tageszeitung, nur ohne Papier, versteht. Neben der bekannten Personalisierung der Titelseite kann man sich alle wichtigen Artikel mailen lassen: Die elektronische Tageszeitung im elektronischen Briefkasten. Ist tagsüber zum Lesen kaum Zeit, können überflogene Texte in eine „Sammelmappe“ geklickt werden, die in einer stillen Stunde auf den Leser wartet (und sich wahrscheinlich binnen kurzem ebenso zum schlechten Gewissen auswächst wie der klassische Haufen von Zeitungsausrissen). Beim Guardian online gibt es das sogar noch umsonst.

So etwas ist ganz schön, hat aber einen Haken. Derartige Abodienste, so auch „myNZ“, werden als Werbebanner-frei angepriesen. Ein unerwartet hoher Zuspruch würde deshalb die Werbeeinnahmen schmälern. Auch wenn das derzeit hypothetisch klingt – da kaum ein Online-Geschäftsmodell auf Werbung verzichten will, wird es zum Problem, wenn Abos und Anzeigen sich beißen. Dieses Handicap hat nicht einmal die gebeutelte Zeitungsbranche.

„Ein webbasierter Dienst kann durchaus Gewinn über Gebühren einfahren“, hält der deutschstämmige Journalist Marc Fest aus Miami dagegen, „wenn er nur konkurrenzlos und nützlich ist.“ Fest weiß, wovon er spricht. Sein www.quickbrowse.com ist als einziger Metabrowser (Montage verschiedener Seiten zu einer einzigen, um sie gleichzeitig durchsurfen zu können) übrig geblieben. Konkurrenzlos und nützlich, kann Fest seit knapp einem Jahr Gebühren erheben. Mit Erfolg: 95 Prozent der Kunden erneuerten regelmäßig ihre Abos, sagt Fest. Aber er muss sich auch nicht mit Inhalten plagen, die liefern ihm andere umsonst.

Eine schwarze Null

Wie also wird man mit tollen Tools nützlich und gleichzeitig inhaltlich konkurrenzlos oder zumindest unverzichtbar? Es gibt noch eine dritte Strategie, verkörpert sozusagen vom Mammutbaum im ausgezehrten Medienpark, die des Wall Street Journal Online. Obwohl nicht auf eine Nische beschränkt, hat es etwas ganz Besonderes: einer der Meinungsführer im Wirtschaftsjournalismus zu sein. „Die Leute sterben für Meinungsführerschaft“, drückt es der amerikanische Investmentbanker und Buchautor Tobin Smith, der selbst einen kostenpflichtigen Newsletter betreibt, pathetisch aus. Das derzeit gut 640.000 Abonnenten zählende WSJ Online könne Ende 2004 die schwarze Null erreichen, sagt Herausgeber Neil Budde. Trotz Anzeigenflaute nehmen die Quartalsverluste ab.

Eine Reputation, wie sie das Wall Street Journal hat, baut man nicht in ein, zwei Jahren auf. Eine Online-Redaktion, die aus Namen und nicht nur E-Mail-Adressen besteht, die unverwechselbaren Journalismus bietet, muss reifen. Doch den Verlagen ist längst die Luft ausgegangen. Die Schwelle zur Profitabilität war für sharper.de zwar erst für 2006 vorgesehen. Die Anzeigenflaute machte neue Geschäftsszenarien nötig, die diesen Zeitpunkt immer weiter nach hinten verschoben hätten, sagt Stefanie Burgmaier. Nach nicht einmal 10 Monaten war Schluss. Genug für technische Spiele und Branchendienste – zu wenig für journalistische Unverwechselbarkeit.

davidhiltermann@hotmail.com