„Natürlich gab es viele Illusionen“

Die Globalisierungskritiker drücken sich um die Frage, welche Institutionen für mehr Gerechtigkeit sorgen können, meint der Grüne Daniel Cohn-Bendit. Zudem sei Attac Deutschland auf der falschen Fährte

taz: Als tausende in Genua protestierten, redete Joschka Fischer vom „abgestandenen Antikapitalismus“. Sie haben dagegen versucht, Grüne und Globalisierungskritiker ins Gespräch zu bringen. Wer hat sich durchgesetzt: Sie oder Fischer?

Daniel Cohn Bendit: So denke ich nicht. Aber wenn Sie sich Joschkas Rede auf dem Parteitag vergegenwärtigen, dann ist klar: Die Frage, wie man die Globalisierung gerecht gestalten kann, ist für die Grünen zentral. Es hat bei den Grünen seit Genua einen Meinungsumschwung gegeben. Das ist gut so.

Die Grünen haben ein bisschen Globalisierungskritik in ihr Programm aufgenommen. Das ist ziemlich sozialdemokratisch: Man ändert das Programm – die Politik bleibt, wie sie war.

Seit wann glaubt die taz denn an Parteiprogramme?

Das ist keine Antwort.

Okay. Die Grünen haben die wesentliche Frage nach vorne gerückt. Wer heute die Globalisierung strukturieren will, muss die europäische Einheit vorantreiben. Das ist der Hebel zur Regulierung der Globalisierung. Nehmen Sie die Reform der EU-Agrarwirtschaft: Wo, wenn nicht dort, soll die Öffnung der Märkte für Produkte aus der Dritten Welt durchgesetzt werden? Wir müssen die Chancen der armen Länder verbessern. Das zu übersehen ist auch die Schwäche von Attac: Die Bewegung weigert sich, zu definieren, wer globale Gerechtigkeit in welcher Institution durchsetzen soll. Da sind die Grünen weiter.

Unter Rot-Grün ist die Entwicklungshilfe verringert worden – die Waffenexporte sind gestiegen. Ist das die grüne, globalisierungkritische Realpolitik?

Die Kritik ist teils richtig. Es gibt den Waffenexport in Dritte-Welt-Länder, der muss reduziert werden. Das muss die nächste rot-grüne Regierung radikal ändern. Dieser Vorwurf ist berechtigt.

Er kommt von Heiner Geißler …

… der leider in der CDU nichts mehr zu sagen hat. Wäre das anders, würden wir sofort Schwarz-Grün machen. Das Regierungsprogramm mit Geißler hätten wir in einer Stunde vereinbart.

Und welcher Rüstungexport ist in Ordnung?

Die EU muss sich entscheiden, ob sie weiter von den USA abhängig sein will. Wenn wir sagen, Interventionen wie in Bosnien oder im Kosovo können auch künftig notwendig sein, dürfen wir militärisch nicht von den USA abhängig sein. Wir müssen also im EU-Rahmen Überwachungssatelliten produzieren.

Sie wollen die EU-Rüstungsindustrie stärken …

Nein, ich will die europäische Unabhängigkeit stärken. Das Wort Rüstungsindustrie an sich ist inhaltsleer. Aber ohne mehr EU-Unabhängigkeit haben wir keine Chance, unsere Ziele zu verwirklichen. Denken Sie an den Streit um den Internationalen Strafgerichtshof.

Die Grünen sind für junge Radikale noch immer zu unbeweglich, zu ängstlich. Ihr Versuch, die Grünen attraktiv für Globalisierungskritiker zu machen, ist gescheitert.

Nein, glaube ich nicht. Je näher die Wahl rückt, je öfter Stoiber im TV zu sehen ist, umso mehr Junge werden grün wählen. Als kleineres Übel – aber was ist daran schlimm? Eine reformistische Regierungspartei kann für junge Radikale nur begrenzt attraktiv sein – sonst kann sie nicht regieren. Eine grüne Regierungspartei, die nur mit ihrer Klientel redet, hätte so viele Wähler wie die taz Leser. Also: Es ist ein Spagat, der immer nur punktuell klappen kann.

Die Globalisierungkritiker scheinen in einer Krise zu sein. Stimmt das?

Es zeigt, sich dass manches naiv war. Es gab ja die Illusion, mit der Tobin-Steuer einen globalen Sozialismus einführen zu können – das war natürlich Quatsch.

Und jetzt?

Die Bewegung braucht den zweiten Atem und eine konsistente Strategie. Das ist gerade jetzt kompliziert. Bei Attac Frankreich gab es verheerenden Streit um die Führung. Das ist typisch: Wenn es mal ruhiger zugeht, versuchen Ideologen, die Bewegung zu kapern. Ich sage das ohne Häme. Ich weiß, wie schwierig es ist, nach einer Mobilisierungsphase neuen Konsens zu finden.

Viele Globalisierungkritiker sind EU-Skeptiker …

Ja, viele halten die EU für ein Instrument des Neoliberalismus. Aber das ist zu kurz gedacht. Es ist einfach ungeheuer schwierig, das Gefühl, dass die Welt gerechter werden soll, institutionell umzusetzen. Wir brauchen die EU als Kraft gegen die neoliberale Politik der USA. Ein Beispiel: Im Streit um die Derivate von Aidsmedikamenten hat eine Allianz von Südafrika und Europa gegen die USA und die pharmazeutische Industrie gewonnen. Gut so. Kioto und der Konflikt um den Internationalen Strafgerichtshof sind weitere Beispiele: Die Europäer können und müssen den USA machtpolitisch etwas entgegensetzen.

Attac Deutschland setzt auf Gesundheitspolitik. Ist das klug?

Nein, die überheben sich. Diese Kampagne ist – im linken Minderheitenlager – populistisch. Gesundheit für alle – na gut, wer will das nicht? Vor allem aber ist diese Strategie gefährlich, weil sich Attac von der Frage der solidarischen Globalisierung entfernt. Denn wer über nationale Gesundheitspolitik redet, muss etwas zur Finanzierung sagen. Und warum nur Gesundheits-, warum nicht auch Rentenpolitik? In letzter Konsequenz wird Attac so von einer erfolgreichen Single-Issue-Bewegung zu einer erfolglosen Art Partei. Da wird der alte Traum von einer Partei links von SPD und Grünen wieder mal scheitern.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE