Tusche auf Bildschirm

Der kalte Krieg der Typografien: Unter lautem Protest ihrer Leser stellen chinesische Zeitungen in den USA auf Links-rechts-Layout und vereinfachte Schriftzeichen um

Ein Computer istimmerhin einfacherals eine meterbreite Schreibmaschine

Chinesen sind radikalen Wandel gewohnt. Dass sich aber ihre Zeitungen über Nacht um 90 Grad drehen – das war für die Chinesen, die in Amerika wohnen, dann doch eine Überraschung. Was früher die Rückseite war, ist seit dem chinesischen Neujahrsfest der Titel, wo die Artikel aufhörten, fangen sie jetzt an. Die Texte der protaiwanesischen Zeitung World Journal sind nun nicht mehr von rechts nach links und senkrecht von oben nach unten, sondern in waagrechten Zeilen gedruckt – von links nach rechts.

Die Sing Tao ging sogar noch weiter: Statt der traditionellen Schriftzeichen, die noch in Taiwan und Südostasien verwendet werden, gebraucht die Zeitung nun die „vereinfachten“ Schriftzeichen der Volksrepublik China.

„Verrat!“, riefen erboste Leser. „Kalte Krieger!“, gab Marco Liu, World-Journal-Chefredakteur, in einem Radiointerview zurück. Mit Annäherung an kommunistische Sitten habe der Seitenwechsel nichts zu tun. Man wolle lediglich englische Worte im Text zitieren können und Immigranten aus der Volksrepublik als Leser gewinnen. Vor allem aber hätten die Journalisten den Kontrast Zeitung–Computer nicht mehr verkraftet: „Auf den Bildschirmen sehen wir Texte von links nach rechts. Wir wollten einfach mit den elektronischen Medien kompatibel werden.“

Auch sonst könnten Computer Veränderungen für die über 4.000 Jahre alte chinesische Sprache bringen. Erst muss das Problem gelöst werden, tausende nichtalphabetische Sinnzeichen mit einer Tastatur von 26 lateinischen Buchstaben zu bewältigten. Theoretisch gäbe es auch die Möglichkeit einer Spracheingabe, in der Praxis fehlt aber eine einheitliche Aussprache für die Zeichen. Den Südchinesen zum Beispiel fällt es sehr schwer, das Pekinger Standardchinesisch korrekt ausszusprechen. Außerdem werden jeder der nur rund 1.600 Silben des Chinesischen im Schnitt 17 verschiedenen Schriftzeichen zugeordnet.

Die verbreitetste Methode ist daher eine Eingabe von Silben mit der Tastatur – das PC-Programm schlägt dann eine Reihe von Zeichen zur Auswahl vor. Zwei normale ASCII-Zeichen nebeneinander werden dabei vom Computer als ein chinesisches Zeichen dargestellt. Die verbreitesten Codes dafür sind „BIG 5“, der taiwanesische Standard mit rund 14.000 Zeichen, und „GB“, der Standard der Volksrepublik mit rund 7.000 Zeichen. Diese Codes sind nicht miteinander kompatibel. Wer Internetseiten des jeweils anderen Lagers lesen will, braucht Zusatzsoftware. Weil das an Chaos noch nicht reicht, hat Hongkong einen eigenen Standard.

Immerhin ist Chinesisch mit dem Computer viel einfacher zu schreiben als früher mit meterbreiten Schreibmaschinen, deren tausende Tasten eine Sache für Spezialisten waren. Schon unken Pessimisten, wer mit dem PC schreibe, erkenne zwar Schriftzeichen noch passiv, beherrsche sie aber nicht mehr aktiv. Nur durch ständiges Schreiben mit der Hand bleibe die Strichfolge von schwierigen Zeichen im Gedächtnis.

Die Chinesen werden ihre Zeichen aber kaum verlernen, meint Raoul Findeisen von der Uni Bochum: „Von den insgesamt 60.000 Schriftzeichen gelten 13.000 als Standard für 99,85 Prozent aller Texte. Zum Lesen einer Zeitung reichen etwa 3.000 Zeichen aus. Die seltenen Zeichen wurden schon immer nur von einer Minderheit beherrscht, schon vor den Computern. Aktiv beherrscht werden die 13.000 Zeichen von einer Handvoll Philologen, keinesfalls über zehntausend.“ Das Schreiben mit Computer sei eher ein Vorteil, weil es die Kenntnis der Hochsprache fördere. „Es nimmt weniger die ohnehin durchschnittlich geringe Fähigkeit ab, seltene Zeichen zu schreiben, sondern die Fähigkeit, in mehrgliedrigen Worten die korrekten Zeichen zu benutzen.“

Und wer sagt denn, dass man nicht auch mit dem Computer per Hand schreiben kann? „Legend“, der größte chinesische PC-Hersteller, hat für Senioren ein Modell ohne Tastatur entwickelt, bei dem mit dem Finger direkt auf den Bildschirm geschrieben werden kann, und seien es noch so komplizierte Schriftzeichen.

MARTIN EBNER