Extreme müssen her

Dominik Grafs „Der Felsen“: Die DV-Kamera allein scheint überfordert, mit Posen und Klischees aufzuräumen

„Statt konkreter Lebenserfahrung sehe ich überwiegend Posen im Spiel und höre Klischees in jedem Dialog. Warum? Das sollte nun alles wieder weggeräumt werden können, damit man sich wieder der Substanz der Filme widmen kann. DV ist ein möglicher Weg dazu“, sagt Dominik Graf in einem Interview, das im Presseheft zu seinem Film „Der Felsen“ abgedruckt ist. Bei der Verleihung des deutschen Filmpreises ging „Der Felsen“ leer aus. Man könnte das für eine dieser klassischen Ungerechtigkeiten halten. Im Münchner Feuilleton fand sich prompt Bedauerndes, denn „Der Felsen“ sei aufregender, brüchiger als die prämierten Filme, etwa „Nirgendwo in Afrika“.

Unterschiedliche Augen mögen unterschiedliche Bilder sehen. Die Grundkonstellation verläuft in etwa so: Katrin und Jürgen, Kollegen und heimliche Liebende, machen Urlaub auf Korsika. Jürgens Frau aber erwartet ein Kind, daher soll Schluss sein mit der Affäre. Aus dem gut gemeinten letzten Urlaub wird bald Streit, die beiden gehen verletzt und desorientiert ihre eigenen verschlungenen Wege. Dabei folgt die Kamera vor allem Katrin, die wiederum den halbstarken Malte trifft, während Jürgen sich mit einer Kellnerin amüsiert. Das sieht genauso langweilig aus, wie es sich anhört. Dafür macht sich Katrin „auf die Suche nach ihrem Leben“ – als wäre das Leben nicht immer schon da. Rumhängen, ein bisschen traurig sein, zwei Tage allein verbummeln – daraus wird kein Thriller, Extreme müssen her. Wenn man sonst nichts zu tun hat, bleiben immer noch eine Menge Gefühl und Leidenschaft.

Aber noch mal von vorne. Der Film wirkt so, als hielte ein Tourist durch den Sucher seiner Videokamera nach etwas Zeigenswertem Ausschau und wüsste nicht recht, was er sieht. Das Licht versuppt, die Farben sind trüb, die Konturen unscharf. Der Tourist streift duch Altstadtstraßen, zum Strand und begegnet einem anderen Touristen. Aber er nimmt ihn nicht als solchen wahr, sondern als Straßenhändler aus dem Senegal, der seinen Krempel mit einer Geschichte übers Geschichtenerzählen anpreist. Dinge sollen miteinander in Beziehung gebracht und weitergesponnen werden, ein Ring, eine Pistole, eine Geldbörse. Eine weibliche Stimme aus dem Off übertönt den Straßenhändler und überträgt seine Philosophie auf den Film. Sie bleibt uns bis zum Schluss erhalten, will Märchenerzählerin sein, stülpt Bedeutung über Zufälle und schaut tief in die Seelchen der Protagonisten. Als hätte sie kein Vertrauen in die Bilder, wüsste, dass nichts Aufregendes zu sehen ist.

Sicher können aus langweiligen Handlungsbeschreibungen spannende Filme werden, was dann vor allem daran liegt, ob man den Schauspielern gerne bei ihrer Arbeit zusieht. Viele scheinen Karoline Eichhorn zu mögen. Sie wurde mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet, manche halten sie in ihrer Rolle der Katrin für „grandios“ und „mutig“. Im bereits zitierten Interview wird Dominik Graf gelobt: „Sie beweisen wieder einmal ihr besonderes Gespür für starke weibliche Hauptrollen.“ Eine „starke weibliche Hauptrolle“ macht Folgendes: Nach einem Abend allein im Restaurant findet sie sich beschwipst in ihrem Auto wieder und will gerade losfahren, als zwei korsische Polizisten an ihre Scheibe klopfen. Die beiden halten sie für eine Schwedin und überreden sie zu einem flotten Dreier. Daran hat Katrin offensichtlich Gefallen. Als die beiden Herren sie darauf hinweisen, dass dieses große Haus, in das sie sie just geführt hatten, ein einsamer, älterer Herr bewohnt, der so gerne ein bisschen zuschauen würde – sie wisse schon, er sei auch sehr großzügig, da ist das natürlich kein Problem. Die mutige Frau legt sich flugs quer übers Bett und masturbiert, während die Kamera die voyeuristische Position des Alten einnimmt. Am nächsten Morgen wacht sie allein auf, nimmt das Geld und zieht von dannen. Die Szene bleibt folgenlos, niemand würde sie missen. Oder ist es etwa das, was man die „Substanz der Filme“ nennt? Oder was „verstörend“ und „irritierend“ ist? Oder hat sich der Regisseur gar etwas Extravagantes einfallen lassen, um seine hübsche Hauptdastellerin häufiger nackt zu sehen?

Das Drama nimmt seinen Lauf. Statt konkreter Lebenserfahrung sehe ich überwiegend Posen im Spiel und höre Klischees in jedem Dialog. Warum? Die DV-Kamera allein scheint überfordert, damit aufzuräumen. ANNETT BUSCH

„Der Felsen“, Regie: Dominik Graf, mit Karoline Eichhorn, Antonio Wannek, Sebastian Urzendowsky u. a., Deutschland 2002, 127 Min.