Der Blick zum Automaten

Out of Rokycany: Auf der Bühne wird Věra Bílá als Königin des Rom-Pop gefeiert. Im Alltag aber hat sich für die korpulente Sängerin wenig geändert. Die Rom-Musiker werden noch immer diskriminiert

Nur gebildete Roma können sich gegen die Benachteiligungen wehren

von DANIELA CAPCAROVÁ

Von Prag dauert es nach Rokycany, dem Heimatort von Věra Bílá, mit dem Zug knapp eine Stunde. Die westböhmische Stadt mit 18.000 Einwohnern unterscheidet sich nicht besonders von anderen Orten ähnlicher Größe: Das Zentrum bilden bunt gestrichene zweistöckige Häuser mit einer hellgelben Kirche in der Mitte. Das dortige „Restaurace“ ist eine Mischung aus tschechischer Kneipe und Spielhölle. Es ist spät am Nachmittag, nur ein paar Gäste sitzen an einem rot bedeckten Tisch, trinken Bier und unterhalten sich. Eine kleine, korpulente Frau in weißer Bluse löst sich aus der Gruppe: Věra Bílá, die Sängerin der Roma-Band Kale, setzt sich an einen freien Tisch und bestellt aus der Ferne eine Limonade für sich, ein Bier für die Journalistin.

Ihre beiden Musiker Miko und Emil Pupa, die sich im Laufe des Gesprächs zu ihr gesellen, werden von jedem Gast, der neu eintritt, herzlich begrüßt. „Wir machen keine Unterschiede und nehmen jeden Weißen, als wäre er einer von uns“, sagt Bílá, und ihr Blick wandert zurück zur Runde, wo sich Roma und Tschechen gemeinsam amüsieren. Dann verschwindet ihr Gesicht kurz in Zigarettenwolken.

Věra Bílá ist ein Star des Rom-Pop, einer Mischung aus Roma-Folklore, lateinamerikanischen Rhythmen, Pop und Jazz. „Wir singen auf Romanes, um unsere Identität zu wahren“, sagt die Sängerin über ihre modernisierte Zigeunermusik. Bei ihren Konzerten in Tschechien finden sich allerdings selten Roma im Publikum. Dafür kommt der von ihr und ihrer Band Kale gespielte Rom-Pop vor allem bei Gadsches gut an, so der Spitzname für Nichtroma: Auch in Deutschland bestritt die Band schon zahlreiche Fernsehauftritte und Konzerte. „Die Deutschen verstehen unsere Texte zwar nicht, sie fühlen aber, was wir ihnen sagen wollen“ ist die gläubige Katholikin überzeugt. Dabei versteht sie das Singen lediglich als Dienstleistung: „Zuerst zünde ich eine Zigarette an und sage zu mir: Jetzt gehst du an die Arbeit. Dann singe ich und warte bis zum Ende, bis ich die nächste Zigarette auspacken darf“, so die Kettenraucherin.

„In Deutschland bin ich eine Königin, und so werde ich auch behandelt“, meint sie. „Im Ausland bin ich stolz darauf, eine Roma zu sein. Die Leute sind hier eben anders als in Tschechien.“

Dabei ist Věra Bílá in Tschechien durchaus populär. Bekannte Sänger suchen die Zusammenarbeit im Duett mit ihr, und für viele Tschechen verkörpert sie den Aufstieg aus armen und einfachen Verhältnissen; fast über Nacht stieg sie zum Popstar auf. Doch sie ist ein Vorbild ohne Nachfolger. Denn im Unterschied zu anderen Roma hatten Věra Bílá und Kale viel Glück: 1992 wurden sie von Jiří Smetana, einem Produzenten, der lange Zeit in Paris gelebt hatte, in einer Prager Latinobar entdeckt. Smetana erkannte das Potenzial der Gruppe und organisierte ihren ersten Auslandsauftritt in Paris. Das stieß ihnen die Tür zum internationalen Musikmarkt auf.

In ihrer Heimat kennen die Musiker noch immer Diskriminierung, in manchen Lokalen werden sie als Gäste einfach ignoriert. „Einmal gingen wir nach einem Konzert mit unseren Ehefrauen in eine anliegende Kneipe“, erinnert sich Emil Pupa Miko, der Gitarrist und Cousin der Sängerin. „Und obwohl uns alle Kellner kannten, wollten sie uns nicht bedienen“, schildert er. Auch der Gitarrist Miko hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Manchmal fühle ich mich, als lebte ich als Schwarzer im Amerika der Fünfzigerjahre“, beschwert sich der knapp Vierzigjährige. Doch die USA hätten das Rassismusproblem bereits gelöst, glaubt er, schließlich hätten schwarze Musiker dort bessere Chancen als die Roma in Tschechien.

Věra Bílá sieht es nüchterner: „Nirgendwo in der Welt bist du auf Rosen gebettet“, sagt sie. Deswegen will sie, trotz des Erfolgs im Ausland, in Tschechien bleiben. „In Kanada bot man mir sogar die Staatsbürgerschaft und einen Plattenvertrag an, aber ich habe abgelehnt“, verkündet sie. Und fragt: „Was habe ich von dem Geld, wenn ich die Sprache nicht spreche und ohne meine Familie bin?“.

Bei aller vorgebrachten Kritik: Auch die anderen Musiker von Kale wollen sich nicht gegen die Diskriminierung der Roma in Tschechien engagieren. „Politische Aktivitäten würden uns nur schaden“, ist Miko überzeugt. Wichtiger sei ihm die Unterstützung der eigenen Kinder, denen er eine bessere Ausbildung wünscht. „Nur gebildete Roma können sich gegen die Benachteiligungen wehren“, ist der ehemalige Zymbalist und Volksmusiker überzeugt. Věra Bílá vermeidet das Wort „Diskriminierung“ sogar lieber ganz: „Die Gadsches und Roma kämpfen gegeneinander“, meint die 48-Jährige. Weil viele Roma mit der Wende von 1989 ihre Arbeit verloren, wurden sie zu Sozialhilfeempfängern, durch Kindergeld besserten manche ihre Einnahmen auf. Als „Nichstuer“ wurden sie deswegen denunziert. „Manche Roma verstehen nicht, dass ohne Arbeit kein Geld kommt“, glaubt Bílá. Doch nur von Sozialhilfe und Kindergeld könne eine Roma-Familie auf Dauer nicht leben.

Sie weiß, wovon sie redet: Nach dem Tod ihrer Mutter musste sie sich alleine um sechs Geschwister kümmern. „Ich habe ein schweres Leben hinter mir“, sagt sie, und auch jetzt sei ihr Leben nicht viel besser, denn Ehemann und vorbestrafter Adoptivsohn František sind arbeitslos: Die Finanzierung der Familie lastet ganz auf ihr.

Doch dass sie damit Erfolg hat, wird ihr von ihrer Umgebung auch geneidet. „Laut vielen Roma in Rokycany bin ich eine leicht zu Geld gekommene Millionärin“, beschwert sich die Musikerin, und blickt dabei aus dem Fenster auf Passanten. Die Nachrede stammt schon aus der Zeit, als Věra Bílá spielsüchtig war: Tagelang hing sie an Spielautomaten, und bis auf das Ehebett verspielte sie alles aus ihrer Wohnung. „Hier in Rokycany gibt es weder Theater noch Kino. An Spielautomaten erfahren Sie immer etwas Neues“, versucht Vera Bila ihren Spieltrieb zu verharmlosen. Während sie das sagt, schielt sie immer wieder zu den Automaten hinter ihrem Rücken. Und dann gibt sie noch ihr Erfolgsrezept zum Besten: „Wenn Sie spielen, um Geld zu verdienen, verlieren Sie. Spielen Sie aber aus Spaß, gewinnen Sie.“ Dann drückt sie im Aschenbecher auf dem Tisch ihre letzte Zigarette aus.