Spieler-Leiden(schaften)

Friedemann Friese ist Spieleerfinder, Mathematiker und DJ. Einmal im Jahr schmeißt er ein neues Spiel auf den Markt. Das Letzte hat dem Bremer und seinem Independent Label sogar den begehrten US-Preis „gamers choice award“ eingebracht – und das, obwohl er alles andere als politisch korrekt ist

Lieber Atomkraftwerke bauen als Parkalleen kaufenSpieltheorie jenseits der Uni: Nichts ist so schlecht, wie die Eins beim Würfeln

Viel Zeit bleibt ihm nicht mehr: Im Oktober ist sein neues Spiel fällig. Eins mit F im Namen und grünem Cover und viel anarchischem Spieltrieb. Weil die Zeit drängt, hockt Friedemann Friese täglich allein bei sich auf dem Fußboden und spielt zu viert gegen sich selbst. Um bis zur Drucklegung die letzten Tücken kennenzulernen und auszumerzen.

Das letzte Spiel des Bremers mit dem Doppel-F im Namen und dem Grün im Haar hat kürzlich sogar den „gamers choice award“ in den USA gewonnen. Zwar nicht den ersten Platz, aber den zweiten. Was in den USA trotzdem viel wert ist, zumal für so ungewöhnliche Vertreter des „german type game“.

800 oder 900 Spiele hat Friedemann Friese hinter sich in seinem Regal. Rund zehn davon selbst erfunden – und als Independant Label (3.000 Stück Auflage) mit Mini-Vertrieb (Internet) weltweit auf den Markt gebracht. „Friesematenten“, „Foppen“ oder „Flickwerk“ heißen seine Werke zum Beispiel. Alle grün, alle mit F im Titel und alle nicht kompatibel zu Ravensburgers Heile-Spiele-Welt: Denn bei Friese muss man Atomkraftwerke bauen, Menschen verspeisen oder Mietwucher treiben.

„Das ist vielleicht nicht politisch korrekt“, sagt Friese dann achselzuckend. „Aber ich spiele halt gerne den Gangsterboss, oder baue Atomkraftwerke“. Und genau so sehen seine Spiele aus: Einfache Materialien, bizarre Ideen à la „Mad“, wo man Geld verlieren statt horten muss.

Die perfekt durchkomponierten Spiele-des-Jahres und Publikumsrenner wie Siedler (acht Millionen Stück verkaufte Auflage) sind Frieses Sache dagegen nicht: Viel zu brav und rund. „Ich mag es lieber, wenn es holpert“, sagt Friese. Und wenn nicht der Würfel zwischen Sieger und Verlierer trennt, sondern das Können.

„Meine Meinung ist, wenn man schlecht spielt, fliegt man raus.“ Denn sonst müsse man sich ja nicht mal mehr anstrengen. Frieses Erfinder-Leit-Maxime: 1. Alle haben die gleichen Startchancen. 2. Wer das Spiel gut verstanden hat, hat die größten Chancen. 3. Wenn sich die Verlierer geschickt verbünden, muss der jeweils Führende einholbar sein.

Würfel gibt es bei Frieses Bretter-Dramen so gut wie nicht. Die sind ihm viel zu dominant und ungerecht. Und wenn schon Glücksbringer, dann ein bisschen milder: Mit einem Würfel ohne die Eins und die Sechs (sondern mit 2,3,3,4,4,5 als Augen). Weil „nichts so entsetzlich schlecht ist wie die Eins“, sagt Friese.

Friese ist Mathematiker. Zwar einer ohne Diplom, aber mit allen Scheinen. Also einer der es wissen muss. Beim Spieleerfinden helfe das strukturierte Denken, die mathematische Analyse, ja manchmal sogar die Wahrscheinlichkeitsrechnung, sagt Friese.

Auch beim Gewinnen hilft es. Startvorteile nennt Friese das: Jahrzehntelange Erfahrung plus Berechnung und Intuition. „Wenn ich mit Fremden spiele, sieht es meist schlecht für die aus.“ Klar, hat auch Friese mal einen schlechten Tag – er wurde beim letzten Spiel nur vierter – und das bei seinem eigenem. „Übertrainiert“, sagt er. Immer die Regelkontrolle im Blick, das große Ganze des Spielentwurfs, aber nicht die gewinnbringenden Details.

Zwischen einem halben und fünf Jahren dauert das Erfinden eines Spiels. „Fünf Prozent davon ist Inspiration, der Rest Handwerk.“ Allerdings zeitaufwendiges Handwerk: tausend-mal durchspielen, Fehlerquellen auftun, andere Spielvarianten ausprobieren. Leben kann Friese nicht vom Spieleerfinden, seinem „zweiten Standbein.“ Mit dem anderen als DJ und Moderator muss er seinen Unterhalt und neue Spiele finanzieren.

Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen: Mit Monopoly und einer ganzen Liste von Verbesserungsvorschlägen. Und zwei Geschwistern mit ähnlichem Spieltrieb. Bloß hörten die meisten Freunde mit 16 wieder auf, sich nachmittags für eine Partie „Sagaland“ oder „Hase und Igel“ zu verabreden. „Die hatten Sex, Drugs, and Rock’n’Roll im Kopf, aber keine Gesellschaftsspiele mehr“, erinnert sich Friese – während er am liebsten weiter jeden Tag in der Woche gespielt hätte.

In der 10. Klasse stand sogar mal Spieleerfinden auf dem Stundenplan – im Kunstunterricht. Ein Homerun für Friedemann Friese war das allerdings nicht. Im Gegenteil. „Eine sechs war’s nicht, sondern eine vier als Anerkennungsnote.“ Denn Kunst war das Friese Produkt damals nicht: „Es sah ziemlich ziemlich scheußlich aus“.

Monopoly, dieses reine Glücksspiel, wo man nie reich wird, wenn man nicht von vornherein die Parkallee kauft, würde Friese übrigens heute nicht mehr anrühren – nicht mal die verbesserte Variante: Zwar kriege man immer das Gefühl, es noch schaffen zu können, „aber die Schere zwischen Gewinnen und Verlieren geht niemals zu“. Und mit dem unseligen Geld- horten hat es der Independent-Spieleverleger ja ohnehin nicht.

Dorothee Krumpipe