Sozialarbeiter am Bau

Ohne globale ökologische Verantwortung lässt sich kein Haus mehr bauen und keine Stadt mehr planen: Beim Weltkongress der Architektur ging es vorrangig um die Kritik an der eigenen Arbeit

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Es ist ihr Job, Häuser zu bauen. Es gehört zu ihren Aufgaben, Pläne für Städte zu entwerfen. Und seit dem Congrès Internationaux d’Architeture Moderne (Ciam) 1928 am Genfer See muten sich Architekten sogar zu, mit steinernen Visionen die Probleme der gesamten Erde zu lösen. Die Rolle der Natur und Landschaft hingegen bildet für sie eher ein Hindernis, das ihren Tun im Wege steht. Dergestalt war es schon merkwürdig, dass auf dem XXI. Weltkongress der Architektur (UIA) – dem alle drei Jahre stattfindenden Gipfeltreffen des Berufsstandes – sich die Elite der Baumeister in Berlin so gar nicht selbstbewusst und als Herren vieler neuer Gebäude, futuristischer Konstruktionen oder Megacitys zeigte, sondern als Kritiker der eigenen Arbeit auftrat. Fast hätte man meinen können, sie schämten sich ein wenig, Architekten zu sein.

Das kam so: Zum einen war durch das Thema des Kongresses „Ressource Architektur“ vorgegeben, dass Stadtplaner und Architekten ihr Tun in Zukunft nur in globaler ökologischer Verantwortung begreifen sollen, will man die bebaute Umwelt nicht vollends ruinieren. Zum anderen ist für Planer und Architekten am Beginn des 21. Jahrhunderts noch immer undeutlich, wie baulich auf und mit Natur und Landschaft, Klima und Umweltzerstörungen, Armut und Ressourcenverbrauch reagiert werden kann. Auf die einfache wie umwerfende Erkenntnis, die Ex-IBA-Emscherpark-Direktor Karl Ganser treffend formulierte, dass „ohne Planung, die das Ökosystem respektiert, ohne Bauen, das die Selbstheilungskräfte der Natur berücksichtigt, und ohne globales verantwortliches Handeln von Architekten die Welt zugrunde gerichtet wird“, gibt es keine klare Antwort – schon gar nicht bei Architekten.

Man gab sich darum in Berlin lernbereit und demütig. Während etwa auf den Vorläuferkonferenzen in Barcelona 1996 und Peking 1999 sich Architekten jenseits der Tagungsräume in Ausstellungen über die neuesten Planungen von Rem Koolhaas (Rotterdam) oder Richard Rogers (London) beugten, um Hightech zu bewundern, gehörte zu den ersten Überraschungen, dass eine kleine Schau im Berliner Marstallgebäude mit dem Titel „Freiraum als Ressource“ die Architektenschaft en masse anzog.

Rund 50 landschaftsplanerische Projekte von deutschen und internationalen Büros, darunter das Atelier Realis mit seiner industriell inszenierten Parkanlage „Cargo“ in Jüchen, animierten dazu, dass in Zukunft der bewusste Umgang mit urbanen und peripheren Freiräume als integraler Bestandteil städtischer Planung angenommen werden muss. Donata Valentin, Landschaftsplanerin aus München, rief in ihrem Vortrag später im Berliner ICC genau diese Notwendigkeit den Architekten-Kollegen zu: „Bauen in der Zukunft funktioniert nur noch im Respekt vor der Natur und mit ihr.“ Doch wie geht das? Dass es nötig ist, sich in Zukunft weltweit für eine Ressourcen schonende Architektur und Stadtplanung einzusetzen, rief beispielsweise der Vortrag von Daniel Biau (Nairobi) in Erinnerung. Ziehen Politiker und Planer nicht die Notbremse bei der Zersiedelung der Landschaft etwa in Nord- und Mittelamerika oder beim Bau von Megacitys in Asien, Afrika und Südamerika, werde die soziale und wirtschaftliche Problemflut jedes umweltverträgliche Experiment erdrücken. Strategien und Instrumente in den Enwicklungsländern erforderten aber dafür eine neue Rolle des Architekten, wie Biau und der Stuttgarter Ingenieur Jörg Schlaich, einer der beeindruckendsten Konstrukteure von filigranen Brücken und großen Glasdächern wie dem für den neuen Lehrter Bahnhof in Berlin oder für das Münchener Olympiagelände, sagten: Der Architekt müsse als Manager in den großen Agglomerationen „bauliche Sozialarbeit“ leisten und die Partizipation der Menschen bei der Planung qualitätvolle Architektur herstellen. Was hat das mit Bauen zu tun, fragten sich da die Teilnehmer.

Klar ist, geplante Riesensiedlungen, wie sie derzeit in China aktuell sind, wo für Millionen Menschen Retortenstädte auf den Reißbrettern von Architekturfabriken entstehen, sowie der Export „internationalistischer und zugleich wertloser Einheitsarchitektur“ sind keine Modelle für verantwortliches Planen und intelligente Lösungen zeitgemäßer Architektur, so Tay Kheng Soon, Architekt aus Singapur. Neben der „Verabschiedung vom alten Design“ komme es zugleich darauf an, das Architektur sich wieder an den jeweils örtlichen Traditionen, Materialien und Technologien orientiert. Zurück zur Natur!

Ging es in Berlin um eine neue Wertedebatte? Der Architekt als Ökoplaner im Gleichklang mit der Natur und Koordinator von Beteiligungsprozessen? Wohl kaum. In der Nachfolge der drei großen Umwelt- und Städtekonferenzen von Rio (1992), Istanbul (1996) und Berlin (2000) bildeten die Vorträge im „Raumschiff“ des ICC zwar die Verschiebung eines bereits bekannten Diskurses in die dritte Dimension – blieben aber, wenn es konkret werden sollte, ohne rechte Antwort. Zu Recht fragten darum etwa die „Noch-immer-Architekten“ wie Christoph Ingenhoven (Düsseldorf), Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton (Berlin/London), die sich ihrer Aufgabe als Häuserbauer nicht entledigen wollen, wie denn Architektur im Spannungsfeld zwischen Nachhaltigkeit und Gestaltungsanspruch wohl aussehen könne und müsse.

Immerhin, ein paar Ansätze waren auf dem UIA-Kongress zu sehen: etwa die Bauten der Madrider Architekten Abalos & Herreros, die im Norden Madrids bewusst die Topografie der Landschaft in ihre am örtlichen Traditionalismus orientierten öffentlichen Gebäude planten. Etwa die Entwürfe von Thomas Herzog (München), der seine Häuser mit natürlicher Klimatisierung, ohne Energiezufuhr und mit recycelbaren Baustoffen entwirft. Oder die Bauten von Richard Kroeker (Halifax), der mit innovativen Konstruktionen für Nullenergiehäuser aufwartete. Dass es dabei fast blieb und der Hamburger Architekt Meinhard von Gerkan zum Abschluss des Kongresses in seiner Rede nochmals das Versagen der heutigen Architektur vor den Fragen der Qualität, Nachhaltigkeit und Ökologie betonte, wirft die Frage auf, was ein solcher Mammutkongress mit rund 6.000 Teilnehmern schließlich zur notwendigen Veränderung beitragen kann.

Sicher, eine „Sensibilisierung“ für das Thema „Ressource Architektur“ und „Qualität als Voraussetzung für nachhaltiges Bauen“, wie Bauminister Kurt Bodewig meinte, hat stattgefunden. Anregungen und Kritik gab es auch. Und die Aussicht auf ein fast unlösbares Problem – die Zerstörung unserer Umwelt – hat womöglich ein schlechtes Gewissen erzeugt. Was der Kongress angesichts einer Überfülle von Vorträgen und Foren nicht geschaft hat, war, genau jenen Dialog, den sich der Veranstalter Bund Deutscher Architekten (BDA) gewünscht hatte, herzustellen und die Verantwortlichen, Architekten, Bauherren und Politiker, an einen Tisch zu bringen.

So bleibt der UIA-Kongress in Berlin wohl in der Erinnerung haften als Anti-Architekten-Kongress ohne durchschlagende Wirkung. Gewonnen in ihrem Anliegen haben sicherlich die Landschaftsplaner. Verloren hat der BDA, weil er sich mit der Planung überfordert und mangels Zulauf nun am Rande der Pleite steht. Mit 10.000 Teilnehmern hatte man gerechnet, als 1996 die Wahl auf Berlin fiel. Jetzt fordert der Verband ein finanzielles „Notopfer“ von seinen Mitgliedern, um nicht zum Konkursrichter gehen zu müssen. Fast symptomatisch wirft das ein Licht auf die Situation der hiesigen Architektenschaft, die vielerorts brotlos und Rande der Existenz agiert.