Die neue Langsamkeit

Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff muss gehen, denn er war einfach zu schnell für die heutige Zeit

von REINER METZGER

Der Zeichentrickstar Benjamin Blümchen feierte gestern auf der Homepage des Bertelsmann-Konzerns fröhlich sein 25-jähriges Jubiläum. Sein oberster Chef Thomas Middelhoff wird es nicht so lange schaffen: Nach einer Krisensitzung am Sonntagnachmittag wurde der 49-jährige Star und dynamische Antreiber der Gütersloher Firma, die Verkörperung des Aufbruchs in die New Economy, vom Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft mit dürren Worten entlassen. Damit geht der Chef eines Medienkonzerns, mit dessen Produkten sich „jeder Deutsche im Schnitt 30 Minuten am Tag beschäftigt“, wie Middelhoff mit Bertelsmann-eigenem Understatement einmal bemerkte.

Nachfolger wird Gunter Thielen. Er hat mit 60 Jahren eigentlich das Bertelsmann-Pensionsalter erreicht, ist von der Ausbildung her Ingenieur und war der Chef des Bertelsmann-Druckereibereiches Arvato. Aber was Thielen früher war, spielte eigentlich keine Rolle bei der Entscheidung über die Nachfolge von Middelhoff. Denn Thielen hatte das Vertrauen derjenigen, die immer noch das Sagen haben im Hause: die Familie Mohn.

Der heute 81-jährige Reinhard Mohn entstammt der Bertelsmann-Familie, hat den Verlag nach dem Krieg zu einem Großunternehmen gemacht und dann seine Anteile zu einem großen Teil in die Bertelsmann-Stiftung überführt. Die Mohns haben das Sagen in der Stiftung und damit in der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft, die wiederum drei Viertel der Stimmrechte an der Bertelsmann AG hält. Im Detail ein kompliziertes Geflecht, aber wirkungsvoll. Und hilfreich für Thielen: Er ist Vorsitzender der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft und Präsident der Bertelsmann Stiftung, bot sich damit als neuer Statthalter der Mohns an.

Vorgänger Middelhoff wollte mit seinen Börsenplänen in der Medien-Weltliga mitspielen, wie er nicht müde wurde zu erklären. Über Aktientausch ließen sich teure Firmen viel bequemer schlucken. Doch im Reich von AOL/Time Warner, Disney & Co gelten Regeln, die einem Weltkonzern aus Gütersloh schnell über den Kopf wachsen. Denn vielleicht wären umgekehrt die US-Riesen auf die Gütersloher aufmerksam geworden. Ein unwiderstehliches Angebot an die freien Aktionäre, und die Familie Mohn hätte plötzlich einen fremden Großaktionär am Hals gehabt. Und auf jeden Fall würden nach einem Börsengang die Bilanzen von außerhäusigen Börsenanalysten durchleuchtet. Alles Horrorvorstellungen für ein verschwiegenes Familienunternhemen in der fünften Generation.

Middelhoff verlor also die Unterstützung der Mohn-Familie und war damit auch seinen vielen Feinden im Konzern schutzlos ausgesetzt. Er hatte rücksichtslos in die bisher eigenständigen Konzernbereiche hineinregiert. Der „Amerikaner mit deutschem Pass“, wie sich Middelhof angesichts seines Faibles für Firmendeals und für die New Economy selbst nannte, musste gehen. Auch eine „Sondergratifikation“ von geschätzten 20 Millionen Euro vom vergangenen Dezember hat ihn bei den Kollegen nicht beliebter gemacht – auch wenn er das Geld vom Aufsichtsrat erhielt, weil Bertelsmann allein durch Middelhoffs Internetbeteiligungen mehr verdient hatte als der Konzern seit dem Zweiten Weltkrieg zusammen.

Für die Kunden des Medienkonzerns dürfte sich wenig ändern. Die Bertelsmann-Erzeugnisse galten bisher als liberal – ob die Fernseh- und Radiofamilie RTL oder Druckerzeugnisse wie Stern, Brigitte oder Geo. Hier wird der neue Oberchef genauso wenig inhaltliche Vorschriften machen wie der alte.

Im Konzern selbst herrschte nach dem Weggang Middelhoffs eine gewisse Erleichterung, vor allem im mittleren Management. Die hohen Gewinnziele und ständigen Umstrukturierungen des „Amerikaners“ zerrten auch bei hoch motivierten Mitarbeitern ziemlich an den Nerven.

Mit Middelhoff geht wieder ein Vertreter der betont schwungvollen jungen Generation in Medienkonzernen. Seine guten Bekannten, den französischen Vivendi-Chef Jean-Marie Messier und AOL-Geschäftsführer Bob Pittmann, hatte es in den vergangenen Wochen auch erwischt. Aber der Profitdruck auf die Medienriesen wird dadurch nicht weniger. So wird der neue Alte bei Bertelsmann nun beweisen wollen, dass auch er gute Gewinne erwirtschaften kann. Da müssen Benjamin Blümchen und die anderen Bertelsmänner noch viele Jahre schuften.