Ziviler Widerstand in Nablus

Die palästinensische Bevölkerung der besetzten Stadt im Westjordanland ignoriert seit drei Tagen die israelische Ausgangssperre. Bislang greift die Armee nicht ein

JERUSALEM taz ■ Israels Armee hält still. Seit drei Tagen missachtet die Bevölkerung in Nablus die über die Stadt verhängte Ausgangssperre. Läden sind geöffnet, in den Schulen finden Abiturprüfungen statt. „Vorläufig werden wir nichts dagegen unternehmen“, kommentierte ein Militärsprecher den erstmals in großem Rahmen stattfindenden zivilen Widerstand. Während die Ausgangssperren in fast allen Städten des Westjordanlandes gestern erneut vorübergehend aufgehoben wurden, gab es in Nablus und in Dschenin keine Unterbrechung.

„Wir hatten keine Wahl“, berichtet Bürgermeister Ghassan Shakaa telefonisch aus seinem Büro im Rathaus. „Nablus liegt seit elf Tagen pausenlos unter Ausgangssperre. Die Leute mussten sich mit Nahrungsmitteln versorgen.“ Die Läden seien zwar wieder offen, zu kaufen gäbe es allerdings wenig. In den Produktionsstätten liege die Arbeit still, weil „kein Material zur Verarbeitung zur Verfügung steht“. Zumindest Nahrungsmittel werden von Israel geliefert. „Sie tun das, weil sie hier einen Markt haben, und weil sie die Welt nicht mit Bildern von Hungernden konfrontieren wollen“, kommentiert Shakaa, den die Tatsache erzürnt, dass die Palästinenser nicht von ihren eigenen Bauern Mehl und Früchte beziehen können. Gewöhnlich wurden die Ausgangssperren zweimal wöchentlich aufgehoben. Gehälter beziehen nur noch die Angestellten der Autonomiebehörde.

Dass die Soldaten nicht reagieren, zeige ein Umdenken, so der Bürgermeister der besetzten Stadt. „Sie haben verstanden, dass die Zerstörung sie nicht weiterbringt.“ Allein das Ende der Besatzung werde den Konflikt lösen. Trotz der bisherigen Ruhe in der Stadt fürchtet Shakaa, dass es zu neuen Konfrontationen kommen kann. Die Leute zu einer Rückkehr in ihre Häuser aufrufen, will er indes nicht. „Für uns ist die Bewegungsfreiheit eine Frage des Überlebens.“

Nach Informationen der Weltbank liegt die Armutsrate im besetzten Palästinensergebiet mittlerweile zwischen 60 und 62 Prozent. Im Gaza-Streifen gebe es die ersten Fälle von Unterernährung. Damit habe sich das von der Weltbankvertretung in Ramallah vor sechs Monaten prophezeite worst case scenario bewahrheitet, berichtet Mamoon Sbeih, verantwortlich für die internationale Koordination.

Die dramatischen Entwicklungen im Palästinensergebiet sowie Druck der USA veranlassten Anfang der Woche die Regierung in Jerusalem zur Freisetzung von 200 Millionen Schekel (etwa 40 Mio. Euro), die seit Beginn der Intifada eingefroren worden waren. Die Steuergelder sollen der direkten Kontrolle des neuen palästinensischen Finanzministers Salam Fayyad unterstellt werden. Fayyad habe sich zuvor verpflichtet, die Gelder „ausnahmslos zum Wohle der palästinensischen Bevölkerung, die nicht in Terror verwickelt ist“, zu nutzen, heißt es in einer Pressemitteilung des Premierministers. Ariel Scharon hatte zudem angeordnet, vorläufig 12.000 Palästinensern, die in Israel arbeiten, die Einreise zu genehmigen sowie die Fischereigebiete im Gasastreifen erneut zugängig zu machen. SUSANNE KNAUL