Planet Deutschland

In der Frauenpolitik ist die Bundesrepublik das Schlusslicht in Europa. Mehrfach wurde sie international gerügt

Hinterm Mond. Irgendwo dort befindet sich die deutsche Frauenpolitik. Nicht erkennbar. Nicht nur von den USA aus, wo affirmative action, aktive Gleichstellungspolitik, längst Alltag ist und Frauen knapp die Hälfte der Führungspositionen – vor allem im mittleren Management – besetzen, sind die 6 Prozent Chefinnen in Deutschland kaum auszumachen. Auch innerhalb der EU suchen etwa Professorinnen, die im Schnitt 26 Prozent des Lehrkörpers stellen, oft vergeblich nach Kolleginnen aus Deutschland, wo der Frauenanteil nur 10 Prozent beträgt. Obendrein werden Frauen – verglichen mit Männern – in Deutschland so schlecht bezahlt wie nirgends sonst in der Europäischen Union.

Deshalb wurde Deutschland bereits mehrfach international gerügt – von der UNO, zuletzt anlässlich der Frauenrechtskonferenz im Jahr 2000, und auch von der EU-Kommission. Hat Deutschland ein Demokratieproblem, weil die größte Bevölkerungsgruppe hier diskriminiert wird und an der Führung des Landes und seiner Wirtschaft kaum beteiligt ist?

Darüber hat sich hierzulande noch niemand Sorgen gemacht. Nur wenn’s weh tut, wachen sie auf, das gesamte Mitte-rechts-Spektrum und die Männer in den Linksparteien. Sprich: Wenn die qualifizierten Arbeitskräfte fehlen. Wenn der Gebärstreik die Volkswirtschaft zu gefährden beginnt. Aber auch dann geht es höchstens rhetorisch um Demokratie. Es gilt, die human Resources zu sichern.

Notwendig für die demokratische Einbindung der Frauen wäre etwas ganz anderes. Man müsste schauen, wer eigentlich profitiert von den Maßnahmen und Geldern, die die Politik in Deutschland bewegt. Die Statistiken müssten nach Männern und Frauen getrennt werden, um Ungerechtigkeiten aufzudecken. Politische Vorhaben müssten in ihren Auswirkungen auf beide Geschlechter untersucht werden: Wem nützen sie, was wollen die Männer, was die Frauen?

Klingt utopisch, ist aber nicht nur offizielle EU-Politik laut Amsterdamer Vertrag, sondern von der Bundesregierung vor drei Jahren ganz formal beschlossen worden. „Gender Mainstreaming“, so das Fachwort, soll schrittweise in allen Politikbereichen umgesetzt werden. Immerhin: Die rot-grüne Regierung bekennt sich zu einer aktiven Frauenpolitik jenseits der Kindergärten. Auch in ihrem Wahlprogrammen findet sich das Wortungetüm. Union und Freie Demokraten dagegen schweigen. Sie wollen anscheinend von dieser Verpflichtung nichts wissen.

  Die EU fordert nicht nur „Gender Mainstreaming“, sie fordert einiges mehr. Nach der verbindlichen „Gleichbehandlungsrichtlinie“ muss jedes EU-Land zum Beispiel ein Institut einrichten, das die Gleichstellung „beobachtet, analysiert und fördert“. Auch soll Verbänden ermöglicht werden, einzelne Frauen bei Klagen gegen Diskriminierung zu unterstützen. Die Tarifparteien sollen sich ebenfalls Maßnahmen zur Gleichstellung ausdenken. Das alles muss laut EU bis zum Jahr 2005 umgesetzt werden – innerhalb der nächsten Legislaturperiode also.

16 Jahre CDU-Frauenpolitik sind nicht mal eben vergessen zu machen. Aber die sechs Ministerinnen der rot-grünen Koalition haben sich durchaus um Fortschritte bemüht. Sie buchstabierten dem Kanzler das G-Wort Gleichstellung vor und haben ihn sogar zu dem Versprechen genötigt, in der nächsten Wahlperiode eine Regierungserklärung zum Thema abzugeben. Von Edelgard Bulmahn bis Heidemarie Wieczorek-Zeul fördern sie Frauen, wo immer es geht – Renate Künast beispielsweise erörtert ihre Agrarreform auch mit dem Landfrauenverband. Und nicht zuletzt versprechen die Ministerinnen weiterhin ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft.

Edmund Stoiber dagegen wartet in seinem Kompetenzteam mit ganzen zwei Damen auf, der baden-württembergischen Kultusministerin Annette Schavan und der Familienexpertin Katherina Reiche. Die hielten es in diesem Wahlkampf bisher nicht für nötig, sich zur Frauenpolitik jenseits der Familienfrage überhaupt zu äußern.

Auch die Wahlprogramme von Union und FDP schweigen zu den EU-Vorgaben. Die FDP ist gegen alle gesetzlichen Maßnahmen zur Gleichstellung, und die Union beschränkt sich auf allgemeine Bekenntnisse zur Chancengleichheit. Mit anderen Worten: FDP und Union ignorieren europäisches Recht und machen frauenpolitisch da weiter, wo sie 1998 aufgehört haben: hinterm Mond. HEIDE OESTREICH