zwei musikfestivals im libanon
: In Baalbek und Beiteddine

Störfeuer vor der Burg

Mit einem Konzert von fünfeinhalb Stunden Dauer begeisterte im Juli der algerische Raisänger Khaled seine Fans im Libanon. Wegen einer Verletzung am Bein war er mit Krücken auf die Bühne des Bergschlosses Beiteddine gehumpelt. Vorausgegangen war der strapaziösen Show eine noch strapaziösere Debatte, die in einer erregten Pressekonferenz gegipfelt hatte. Ursache der Querelen: ein Auftritt Khaleds in Rom, wo er am Rande einer Konferenz mit der israelischen Sängerin Noa ein Friedenslied angestimmt hatte. Für manche Libanesen war das zu viel der Gefühlsduselei angesichts der jüngsten Eskalation des Palästinakonflikts, in ein paar arabischen Medien wurde zum Boykott des Konzerts aufgerufen. Den Konzertbesuchern war das ziemlich egal. Aber die fünf Stunden stellten selbst hart gesottene Clubtänzer auf die Probe.

Politische Streitigkeiten gibt es bei den beiden großen internationalen Musikfestivals des Libanon, die jährlich in Beiteddine und in Baalbek stattfinden, fast immer. Vor zwei Jahren führte ein junger libanesischer Komponist ein modernes Chorkonzert auf, die Worte der Choräle entstammten dem Salomon-Lied des alten Testaments. Die gesamte libanesische Presse echauffierte sich damals darüber, wie die Veranstalter des Festivals es sich erlauben könnten, „jüdisches Kulturgut“ aufzuführen – wo doch die Probleme mit Israel noch lange nicht gelöst seien, trotz des Truppenabzugs aus dem Süden des Landes. Im Jahr darauf dann, vor der Aufführung der Carmina Burana, schossen Milizen der Hisbullah-Hochburg Baalbek Warnschüsse in die Luft. Überall waren Soldaten der libanesischen Armee postiert, Flaggen mit dem Hisbullah-Emblem schmückten den Eingang. Dieses Jahr waren diese unangenehmen Begleiterscheinungen dann wieder verschwunden.

Sonst liefern die Sommerfestivals wenig Anlass zur Aufregung mit ihrem Programmmix von Klassik, Weltstars wie José Carreras, Gilberto Gil und Youssou N’Dour oder Größen aus der arabischen Welt. Avantgardistisches wird selten gewagt, schließlich sind die privaten Betreiber der Festivals auf Einnahmen angewiesen. Hinter dem Beiteddine-Festival steht mit Nura Dschumblat die Frau des Drusenführers Walid Dschumblat. Die Dschumblats zählen zu den wohlhabendsten Familien des Landes, das Beiteddine-Schloss im Schufgebirge ist seit langem Emporium der Drusen. Dass man in der Bergregion auch kulturell das Sagen hat, davon will die Dschumblat-Familie mit dem Festival überzeugen. Älter ist das Musikfestival im benachbarten Baalbek, das 1955 vom christlichen Präsidenten Camille Schamun ins Leben gerufen wurde. Obwohl Baalbek inzwischen von den Schiiten dominiert wird, ist das Festival nach wie vor in christlicher Hand. Innerhalb der Ruinen darf Alkohol ausgegeben werden – eine Art Widerstand der Christen gegen das strikte Moralregime der Hisbullah.

In den 50er-Jahren bot das Festival echte Avantgarde: Jean Cocteau führte hier mit Jeanne Moreau das Theaterstück „Machine Infernale“ auf. Überhaupt war er ein begeisterter Besucher Baalbeks und gastierte gern wochenlang im alten Grandhotel Palmyra, wo er angeblich zeitgleich eine Affäre mit der französischen Darstellerin sowie mit seinem schwulen Freund hatte. „Damals herrschte in Europa noch biedere Nachkriegszeit, wogegen im Libanon das verruchte Partyleben tobte“, sagt der jetzige Hotelbesitzer Ali Husseini. Heute dagegen haben die Bewohner Baalbeks wenig vom Festivalbetrieb. Ähnlich wie in Beiteddine reisen die Besucher aus Beirut in Bussen an und fahren gleich nach den Konzerten wieder nach Hause. „Früher war das Palmyrahotel das Zentrum des Festivals, internationale Stars und die libanesische Elite gastierten hier“, erinnert sich Husseini. Jetzt ist er froh, wenn sich ein paar wenige Touristen in das alte Hotel verirren. Und auch im Bergdorf Beiteddine bleiben die meisten Cafés leer: Der Rummel konzentriert sich auf den Schlossbereich.

Finanziell sind die beiden Festivals eher ein Verlustgeschäft, trotz der zahlreichen privaten Sponsoren. Dafür aber bringen sie den veranstaltenden Familien Status innerhalb der libanesischen Elite. Überhaupt sind beide Festivals sehr elitär: Die Ticketpreise reichen von 25 bis 200 Euro – viele können sich das nicht leisten, denn ein ganz normaler Lohn beträgt nicht mehr als 400 bis 500 Euro im Monat. So ist bei den Konzerten das immergleiche Personal anzutreffen: Damen aus der Beiruter Bourgeoisie, libanesische Journalisten (wegen der Freitickets), europäische Angestellte der diversen Kulturinstitute sowie die Auslandslibanesen, die mehr Geld haben und in ihrer Heimat einen schönen Sommer erleben möchten.

Zum Konzert des brasilianischen Sängers Gilberto Gil stöckelten die älteren Damen dann über die Steine des Römertempels und passten auf, sich nicht die Knöchel zu brechen. Wie bei allen Konzerten waren Stühle aufgestellt, und als die jungen Leute zu „No Woman No Cry“ zu tanzen begannen, wurden sie von den Ladys dazu angehalten, sich wieder zu setzen: der Sicht wegen. Am Ende der Show aber hatten sie sich neben den Hippies zum Tänzchen erhoben oder aber zu einem Glas Whisky zurückgezogen. Joints zu rauchen stand dagegen außer Frage: dafür sorgte allein schon Präsenz des privaten Sicherheitsdienstes.

CHRISTINA FÖRCH