Die Geheimnisse von Lima

Mit den Texten der Dichter und den Rhythmen der Kalebassen: Die Sängerin Susana Baca pflegt und bewahrt afroperuanische Musikkultur und Traditionen – und ist damit auch international erfolgreich

von MAXI SICKERT

Ihre Hände sind klein und schmal. Susana Baca sitzt unter schrägen Dachfenstern in der Dependance ihrer Plattenfirma in Berlin, zierlich und freundlich. Ihr Neffe ist auch zugegen. Er lebt mit seiner Frau in Berlin und hat sie und die beiden kleinen Kinder mitgebracht. Es ist die einzige Gelegenheit, seine Tante aus Peru zu sehen, wenigstens kurz. Zwischen den Interviews, die Susana Baca an diesem Tag mit deutschen Journalisten führt, kommt sie heraus, um den Kindern Bonbons zu schenken.

Die Kinder sind schüchtern. In Peru waren sie noch nicht, erzählt die Frau des Neffen: Sie habe Angst vor Krankheiten und der politischen Situation dort. Immer wieder Bombenanschläge, es gebe sehr viel Armut und Krankheit. Die Hauptstadt Lima zerfranse an ihren Enden zu Slums, in denen Kinder auf der Straße verhungern.

In einem dieser Slums ist auch Susana Baca aufgewachsen. Als Kind litt sie unter schwerem Asthma. Trotz allem hat sie auch schöne Erinnerungen an ihre Kindheit: An die Tänze ihrer Mutter und die Musik des Vaters, der selbst Gitarre spielte. Die afroperuanische Minderheit, der Susana Baca entstammt, stellt in Peru immer noch die Unterschicht. Ihre Geschichte liegt im Dunkeln, sie wird nicht an den Schulen gelehrt, ihre Dichter, Künstler und Musiker werden in Vergessenheit gehalten. Susana Baca, die ehemalige Grundschullehrerin, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die afroperuanische Kultur zu fördern. Nach Jahren der Feldforschung gründete sie gemeinsam mit ihrem Mann Ricardo Pereira 1992 das Instituto Negro Continuo mit Bibliothek, Tonarchiv und Studio. Hier finden regelmäßig Workshops statt, etwa zum Nachbauen originaler Instrumente, die früher von den Sklaven in Peru benutzt wurden: Wie die „Quihada de Burro“, der Kiefer eines Esels. Der Knochen wird in einem speziellen Verfahren getrocknet. Danach werden die Zähne gelockert und das Ganze als eine Art Rassel verwendet. Oder der „Cajón“, eine einfache Holzkiste mit einem Loch an der Seite.

Diese ursprünglichen Instrumente verwendet Susana Baca auch in ihrer Musik. Auf ihrem neuen Album „Espíritu Vivo“ singt sie neben dem langsamen, tiefen Landó „La noche y el día“ und dem traditionellen afroperuanischen Weihnachtslied „Caracunde“ auch „13 de mayo“ von Caetano Veloso, eine Hymne auf die Abschaffung der Sklaverei. Das Interesse an ihrer Person hat zugenommen, seit Susana Baca für einen Grammy nominiert wurde – als erste peruanische Künstlerin überhaupt, wie sie nicht ohne Stolz sagt. Diese internationale Auszeichnung habe ihr eine Art Immunität verschafft: Nun könne sie sich jederzeit über die politischen und sozialen Zustände in Peru äußern, ohne dafür Sanktionen befürchten zu müssen. So sei sie in Peru zum Vorbild auch für zeitgenössische Entwicklungen im Pop geworden, wie sie es sich bis vor kurzem noch nicht vorstellen konnte. Kürzlich sind sogar die ersten Remixe einiger ihrer Stücke erschienen.

Dabei verdankt Susana Baca ihren internationalen Erfolg einer glücklichen Fügung. Bernardo Palombo, der Spanischlehrer von David Byrne, hatte dem Musiker Aufnahmen von einem peruanischen Festival mitgebracht, denn Byrne wollte die Sprache anhand von Liedtexten lernen. Von den Stücken aber war Byrne dann so begeistert, dass er die Sängerin und ihre Band kurzerhand unter Vertrag nahm. Ihr drittes Album für Luaka Bop, „Espíritu Vivo“, entstand nun erstmals in New York, zusammen mit dortigen Musikern wie dem Gitarristen Marc Ribot und dem Keyboarder John Medeski. Doch der erste Tag ihrer Proben fiel ausgerechnet auf den 11. September 2001. Keiner wusste, wie er reagieren sollte, alle standen unter Schock, Ribot und Medeski weinten. Susana Baca tröstete sie und sang beruhigende Lieder. Daher rührt auch der Albumtitel „Espíritu Vivo“ („lebendiger Geist“). In der Woche nach dem 11. September entstand das Album dann in einer Art Live-Einspielung: Mit geladenen Gästen wurde ein Konzert improvisiert.

Mit ihrer Arbeit will Susana Baca afroperuanische Musikkultur bewahren. Schon auf ihrem 1990 entstandenen Albumdebüt „Vestida de Vida“ bezog sie sich auf peruanische Traditionen, besonders auf Tänze, aber auch auf afrikanisch geprägte Gesänge aus Kuba, USA oder Brasilien.

Auch der Köper ist ihr ein wichtiges Ausdrucksmittel; die Bewegungen und Gesten, die die Stimme modulieren. Jeden Morgen tanzt sie, bevor sie ihre Musiker zu den Proben trifft. Für die Alben „Eco de Sombras“ und „Espíritu Vivo“ verwendete Susana Baca Texte berühmter afroperuanischer Dichter und die komplexen Rhythmen der Djembé, der verschiedenen Kalebassen, die damals von den Sklaven gespielt wurden. Je mehr sie aus Büchern über die Ursprünge der afroperuanischen Kultur lernt, desto wütender wird sie. „Manchmal kann ich nicht weiterlesen“, sagt sie.

Im afrikanischen Erbe sucht sie auch die Verbindungen zu anderen Stilen, in dem Bewusstsein, dass afrikanische Sklaven einst auch in die USA oder nach Kuba verschleppt wurden. Um ihren Ringfinger schlingt sich ein silberner Alligator, ein Geschenk einer kubanischen Freundin und Symbol afrokubanischer Kultur. Und wenn sie von Marc Ribot spricht, einstmals Gitarrist von Tom Waits und den Lounge Lizards, der auf ihren beiden Platten mitspielt, dann betont sie dessen Blues-Wurzeln, die aus dem gemeinsamen afrikanischen Erbe stammen würden.

„Espíritu Vivo“ (Luaka Bop/Virgin)