Brennpunkte der Apartheid

Unter dem Titel „Zugewinngemeinschaften“ findet bei Magdeburg die 5. Werkleitz-Biennale statt. Das Medienkunst-Festival kreist um die Frage nach dem großen allgemeinen Ausgrenzenden

von MADELEINE BERNSTORFF

Dunkelocker gepolsterte Stühle, Tapeten aus der Vorwendezeit, ein Raum mit Bühne und Empore, dort zwei tragbare tschechische 35-mm-Projektoren und ein Videobeam, Holzverkleidungen und zwei kleine Wohnzimmerlämpchen, die am Schnürchen ausgeknippst werden, wenn die Filme losgehen im Gasthaus Zur Post in Tornitz, Sachsen-Anhalt.

THE ATTENDANT, der prachtvolle, überbordende Film von Isaac Julien wird als Vorfilm zu Rainer Werner Fassbinders WHITY von 1970 gezeigt: „Ich bitte um Verzeihung, Massa …, ich danke … Liebe mich, schlage mich …“. Rot der Anzug von Günther Kaufmann, der den gar nicht so dunkelhäutigen Sklaven, Liebhaber und Sohn der Familie Nicholson spielt, weiß seine Handschuhe, wenn er dient und bedient, weiß auch sein Anzug, wenn er zu seiner geliebten Prostutierten geht und wenn er zusammengeschlagen wird vom Salonmob, angeführt vom Quälmeister Fassbinder selbst, weiß die Gesichter der Söhne, schwarz das Korsett des sich nach Whity verzehrenden Mannes. Die Gesten in diesem Film, dessen Cinemascope-Format wie ein Guckkasten auf der Leinwand steht, werden langsam abgetastet, all die aufgeladenen Unterwerfungen und Demütigungen, die hierarchischen Zumutungen sickern unter die Haut.

In den beiden Filmen werde SM benutzt, um Rassebeziehungen durchzuarbeiten, sagt der Filmwissenschaftler Marc Siegel und macht auf charmante Weise deutlich, wie sehr die „Zugewinngemeinschaft“ – so der Titel der 5. Werkleitz-Biennale – ihre mächtigen Verhältnisse in die Seelen und Körper senkt. Whity genießt die Quälereien und leistet doch Widerstand. Innen. Der lange bestehenden Weigerung der Filmkritik, WHITY eine aktuelle Bedeutung zuzuschreiben, entgegnet Branwen Okpako aus Nigeria in ihrer Videoinstallation. Ein komplexer Dialog über heutige Zustände, z. B. über die Arbeitsmöglichkeiten von schwarzen SchauspielerInnen in hiesigen Theatern, verschachtelt sich mit der Rezeptionssituation eines Films, der inzwischen älter ist als viele der BesucherInnen der Werkleitz-Biennale.

Das Team der zwölf Kuratoren und Kuratorinnen hat in einem langwierigen und immer wieder Hierarchien thematisierenden Prozess ein Programm zusammengestellt, das die obsolete Trennung von Kunst und timebased Media sowieso nicht mitmacht, aber auch nicht die Unterscheidung von KuratorInnen und Produzierenden und die aufgebauschten Erfüllungsversprechen von homogenisierenden Themenausstellungen weit hinter sich lässt. „Ein kuratorisches Vorgehen ist ja an sich schon etwas Beknacktes“, heißt es. Noch dazu, wenn dieses Team westlich-weiß ist und sich als Aufgabe die Frage nach dem großen allgemeinen Ausgrenzenden stellt.

Dem neuen Video WEISSES GHETTO von Kanak TV gelingt die schwungvolle Persiflage auf Whiteness hierzulande. Im monokulturellen Kölner Stadtteil Lindenthal, einem „Brennpunkt unsichtbarer Apartheid“, werden die Bewohner befragt, was sie dazu tun, sich in einer „bunten“ Gesellschaft zu integrieren. Natürlich sind sie froh, so unter sich zu leben, sehen sich gern als „Biodeutsche“ und finden überhaupt: „Ich integriere mich sehr toll.“ Universalismus zum Brüllen. Wahlkampfrelikte und Wahlkampfaktualitäten der Leitkulturgesellschaft berühren sich: Die 1:1-Reproduktionen von Wahlplakaten aus den Siebzigerjahren wie z. B. das der Nationalen Front der DDR in erwartungsgemäßer Braunstichigkeit, der Deutschlandaufruf von und für Willy Brandt oder die Schwarzweißplakate der Schillpartei mit dem Versprechen NEUE WEGE begleiten einen durch die zwei Biennale-Dörfer und relativieren und historisieren die jetzigen Wahlplakate und ihre Plattparolen. In der Rückschau sind die Adressierungen an das große Allgemeine, an das Wahlvolk Ost und das Wahlvolk West auf den ersten Blick weniger unterschiedlich, als uns die Geschichtsschreibung weismachen will und dann doch umso mehr.

Drei so genannte Gegenstände lieferten den Ausgangspunkt für die Recherche. Zum einen ist es der Fassbinder-Film, dann die Frage nach den offenen Grenzen und schließlich die Weltfestspiele der Jugend und Studenten, die 1973 in Ostberlin stattfanden. „Leuchte roter Stern und gib mir Mut in jedem Herz, in jedem Haus. Wir sind überall!“ war die inoffizielle Hymne, und sie klingt durch die schrabbelige Gitarrenbegleitung ein bisschen wie die westdeutschen progressiven Kirchenlieder der jungen Gemeinden. In der Werkleitz-Zeitung sind die damaligen Festspiele so beschrieben: „Das war unser Festival, wir waren keine Jubelperser mit Winkelementen.[…] Außerhalb der offiziellen Veranstaltungen war die Atmosphäre sehr wichtig. Ein bisschen Hippiefestivalgefühl, viele Leute mit Gitarren auf dem Alexanderplatz – auf der Erde sitzen, abhängen, sich in den Brunnen waschen. Dass nachts die Leute auf den Straßen schlafen durften war ein Novum für die DDR. […] Es wurde kreuz und quer diskutiert, und besonders intensiv mit Lateinamerika geküßt […]“. Selbst die Junge Union durfte ihre Vertreter aus Westdeutschland schicken. Fünf Farben symbolisierten die Blätter der Festivalblume und tauchten immer wieder in der Gestaltung auf.

Die Biennale nimmt in der Containerinstallation „Lunch in the Ashes“ darauf Bezug: KünstlerInnen aus Indien, den USA, Brasilien und Kanada befragen das damalige Großereignis auf sein internationalistisches Potenzial, auf gesellschaftliche Utopien und Dystopien und persönliche Rückbezüge. Sie finden sehr verschiedene Antworten.

Die in Berlin lebende brasilianische Künstlerin Maria Thereza Alves zeigt in ihrer Videoinstallation einen Loop des Videos LOOKING: Sie hatte sich Fotografien der Weltjugendspiele angesehen und die Abbildung einer Frau gefunden, die in der Menge eine seltsame euphorische Autonomie ausstrahlt. Diesen leuchtenden Ausdruck spielt eine Schauspielerin mit aller Emphase nach und geht durch eine heutige Einkaufsstraße. Eine rätselhafte und überzeugende Bewegung von innerer Begeisterung hin zu einem äußeren Gemeinsamen und Gesellschaftlichen entsteht, ohne aber den historischen Abstand in einer sentimentalen Projektion wieder einzudampfen.

Bis zum 4. 8., www.werkleitz.de