Die arischen Bestien warten schon

Nein, nicht Ussama Bin Laden ist schuld am nuklearen Desaster, sondern die Verwahrlosung in der ehemaligen Sowjetunion. Mit „Der Anschlag“ beschwört Regisseur Phil Alden Robinson die ausgestanden geglaubten Ängste aus dem Kalten Krieg neu

Anders als die aktuelle Kriegsfilmwelle zeigt „Der Anschlag“ kaum Opfer oder Folgen

von BARBARA SCHWEIZERHOF

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen dafür, Nostalgie für die Zeit des Kalten Kriegs zu empfinden. Die einen vermissen angeblich die Klarheit der Feindbilder und die damit verbundene Übersichtlichkeit der Welt. Die anderen trauern ganz vernünftig der Tatsache nach, dass der Supermacht USA niemand mehr Paroli bietet. Und allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Kalte Krieg mit seinem Abschreckungsprinzip letztlich eine Zeit des glücklichen Wartens war, denn das gefürchtete Ereignis, der „Ernstfall“, war ja nie eingetreten. So wird in der Rückblende aus dem Kalten Krieg eine Zeit des Spiels, an die man sich mit wohligem Schaudern zurückerinnert.

Gewissermaßen spielerisch erscheint auch der Plan der Nazis, die es in Phil Alden Robinsons Film „Der Anschlag“ auf die Herbeiführung ebenjenes Ernstfalls abgesehen haben. Mit einer von unbekannter Hand gezündeten Atombombe wollen sie den großen Zerstörungskrieg zwischen den USA und Russland provozieren, um im Anschluss die Befehlsgewalt über die in Trümmern liegende Welt zu übernehmen. Solch ambitionierte Planung versetzt uns sofort ins vertraute Reich der populären Nachkriegs-Fiktionen – „Der alte Traum, die Weltherrschaft, höhö“, wie bereits James Bond in „Dr. No“ bei Whisky und Zigarre sarkastisch kommentiert.

Im Film ist es eine Ansammlung von unangenehmen Gestalten, die dieser Idee nachhängt; streng und steif, hinter rigiden Körperhaltungen die Lust zur Perversion noch gerade so verbergend, treffen sie sich in üppig dekadentem Interieur, aus dessen Halbdunkel irgendwo diskret ein Hakenkreuz zum Vorschein kommt. So aktuell diese Kolportage tatsächlicher neonazistischer Entwicklungen in Europa anmutet, so deutlich zeigt doch die filmische Umsetzung, dass die Vulgärrezeption von Nietzsche mehr Einfluss auf das herkömmliche Nazibild in der Welt hat als jede Realität; „arische Bestien“ oder als solche Verkleidete, zur Not blond gefärbt, stehen als Handlanger der perversen Alten zur Verfügung.

In Tom Clancys Buch von 1991, das dem Film als Vorlage diente, sind es noch arabische Terroristen, die auf das Heißwerden des Kalten Kriegs spekulieren. Ein solches Szenario war den Machern des Films wohl doch zu nah an den drohenden Ernstfällen der Gegenwart, was einiges über den Willen zur Ernsthaftigkeit in Hollywood aussagt. Den kann man dagegen dem Autor Clancy kaum absprechen. In seinen Romanen spekuliert er am liebsten hart am Rande der Zeitgeschichte, was ihm einen nahezu prophetischen Ruf eingebracht hat: Bereits 1996 hatte er nämlich beschrieben, wie ein Selbstmordattentäter mit seinem Flugzeug über dem Capitol abstürzt, wo sich gerade Senat und Repräsentantenhaus zu einer Sondersitzung mit dem Präsidenten versammelt haben. In den Stunden nach den Attentaten am 11. September wurde Clancy deshalb als Experte befragt – obwohl es in seiner Geschichte der alte Konflikt mit Japan ist, der zu dieser Eskalation führt. Beide Bücher – „Die Ehrenschuld“ und „Sum of all fears“, die Vorlage zu „Der Anschlag“, gehören zu Clancys Zyklus um den CIA-Berater Jack Ryan, der wiederum den meisten Kinogängern in der Verkörperung von Harrison Ford aus den Filmen „Die Stunde des Patrioten“ und „Das Kartell“ bekannt sein dürfte. Bei Tom Clancy wird übrigens nach dem Attentat auf Capitol Hill Jack Ryan Präsident. Es steht zu befürchten, dass das mit gegebenem zeitlichen Abstand auch noch verfilmt wird.

In „Sum of all fears“, so der Originaltitel, addieren sich alte und neue Ängste aufs Trefflichste: die alte Angst vor der Zerstörungsgewalt der Arsenale des Kalten Kriegs und die neue vor dem Zusammenschluss der Neonazis Europas; die neue Angst vor der Unversöhnlichkeit der Araber – im Film sind sie lediglich die unglücklichen Finder des verheerenden Sprengkopfs – und die alten Befürchtungen um Schlendrian und Verwahrlosung in der ehemaligen Sowjetunion. Im tickernden Ablauf des Thrillers, Jack Ryans Jagd nach den rettenden Informationen in den Satellitenaufnahmen und Computern dieser Welt, schließen sich all diese Befürchtungen wieder zum paranoiden Weltbild des Kalten Krieges kurz: ganz nah, am Horizont, die große Gefahr, die nur Männer wie Jack Ryan noch einmal abwenden können. Für die Nicht-Jack-Ryans der Welt bedeutet das: „Duck and cover.“

Der deutsche Verleih wählte den Titel „Der Anschlag“ wahrscheinlich, weil nach den Attentaten im letzten Jahr das Hochgehen der Bombe im Stadion die spektakulärste Szene des Films ist, allerdings weniger wegen ihres „Schauwerts“, als vielmehr deshalb, weil sie das entspannende Fiebern um die Rettung der Welt für einen Moment in Betroffenheit umschlagen lässt. Man kann darüber spekulieren, ob die entsprechenden Sequenzen im Nachhinein „entschärft“ wurden: Im krassen Unterschied zu den ausführlichen Schlachtbeschreibungen der aktuellen Kriegsfilmwelle sind in „Der Anschlag“ kaum Opfer zu sehen. Auch die atomaren Ausfallwirkungen scheinen eher gering zu sein. Doch sollte man diesen mangelnden Realismus dem Film nicht zum Vorwurf machen, denn er verheimlicht ja gar nicht, dass er „Spiel“ sein will.

Um das Spiel mit dem wohligen Schaudern gefälliger zu machen, hat man auch die Logik der Fiktion, also die Biografie der Figur aus der Romanvorlage, geopfert; Harrison Ford wurde durch Ben Affleck ersetzt. Die deutlich verjüngte Figur muss nun erneut in den CIA eingeführt werden. In einer Art Reprise zu „Jagd auf Roter Oktober“ (wo noch Alec Baldwin die Rolle spielte) sind es wieder seine Russischkenntnisse, die Affleck/Ryan in den Krisenstab befördern. Ist er in „Roter Oktober“ der Einzige, der an die guten Absichten von Ramius glaubt, dieses von Sean Connory glanzvoll verkörperten Perestroika-Vorboten, setzt er hier auf die guten Intentionen von General Nemerow, in dem sich als Abziehbild des kürzlich verunglückten General Lebed der Niedergang der Großmacht Russland darstellt. Wie damals kommt es letztlich zur Zusammenarbeit der „few good men“ auf beiden Seiten.

Es ist dieser „eingekapselte Humanismus“, von dem die Kalten-Kriegs-Filme auch immer handelten, der im „Anschlag“ zum Kitsch ausgebaut wird. Auch an vielen anderen Stellen – die Liebesgeschichte! – wirkt der Film, als spiele er in den 50er-Jahren. Was den Hauptverdacht stärkt, den er im ideologiekritischen Unterbewusstsein auslöst: dass nämlich mit der Wiederbelebung des Filmgenres auch die schwarze Pädagogik des Kalten Kriegs wiederkehrt. Dann ist die Lehre vom düsteren Weltbild, in der die Fixierung auf die ganz große Gefahr alle in Schach hält und eine unzählige Summe von „kleineren Übeln“ in Kauf nehmen lässt, sehr nahe.

„Sum of all fears – Der Anschlag“. Regie: Phil Alden Robinson. Mit Ben Affleck, Morgan Freeman, James Cromwell u a. USA 2002, 124 Min.