Wie haben Sie das gemacht, Mister B.?

Die letzten Wahrheiten über das Kino – und den Stummfilm: Der französische Filmemacher Olivier Assayas hat Ingmar Bergman ausführlich für ein Interviewbuch befragt. Dagegen sucht Renate Bleibtreu in den Tagebucheintragungen und Drehbüchern des Regisseurs nach dem Erzähler Bergman

Olivier Assayas wollte Filmgeschichte zum Sprechen bringen. Deshalb fuhr er 1992 nach Schweden, um Ingmar Bergman zu treffen und für die Cahiers du cinéma zu interviewen. Wie es um seine Voreinstellungen stand, gab Assayas im Begleittext bekannt: „Hier fand ich die Kraft der Stummfilme, wie durch Halluzinationen hervorgebrachte Bilder aus anderen Zeiten, Visionen, deren Geheimnis von unwiderstehlicher Kraft ist, die es ihnen ermöglicht, sich in unserem Innersten einzuprägen mit der Macht unserer eigenen unbewussten Schöpfungen.“

Mit emphatischen Kaskaden wie dieser hat der französische Filmemacher und Kritiker bei Bergman vermutlich keine offenen Türen eingerannt. Aber auch so sind die drei Treffen à zwei Stunden wohl nicht immer erwartungsgemäß verlaufen, was man nun auch in einer deutschen Ausgabe nachfühlen kann. Eine berühmte Vorlage scheint zwischen dem jüngeren und dem älteren Mann zu stehen: Vielleicht wollte Assayas Truffaut sein, sein Gegenüber aber nicht Hitchcock. Bergman zieht es daher vor, diesen Druck zu unterlaufen und hält das Gespräch betont anekdotisch oder smalltalkhaft. Filme werden auf der Ebene mag ich/mag ich nicht, gelungen/misslungen verhandelt, und es war sicher auch kein Vorteil, dass Stig Björkman anwesend war, der Bergman seit Jahrzehnten journalistisch begleitet und nicht gerade zur Herausforderung beigetragen hat. Obwohl die Umstände also nicht ideal waren und Bergman keine Bereitschaft zeigte, beim Aufräumen in seinem Werk zu helfen, gab Assayas nicht auf und wollte wenigstens die Chronologie retten: „Betrachten Sie Ihre Filme als kohärentes Ganzes?“ Bergmann: „Nein, nein …“ Dazwischen gibt es allerdings immer auch helle Flecken. „Das menschliche Gesicht im Stummfilm, ein Gesicht, ein Schatten auf der Leinwand, der sich plötzlich umdreht und den Zuschauer ansieht. Das ist das Wichtigste in der Filmkunst. Man kann die Augen sehen, tausende kleine Muskeln, die Haut, die Nase.“ Daraus ergibt sich eine Beobachtung, die mir aus der Seele spricht: „Die jungen Mädchen sind in Frankreich immer ein Problem … Ich weiß nicht, warum, aber die jungen Mädchen in den französischen Filmen spielen immer, dass sie junge Mädchen sind.“ Auf den letzten Seiten zieht die Spannung etwas an und Bergman gibt Assayas mit auf den Weg: „Man muss inkonsequent sein. Wenn Sie konsequent sind, entgleitet Ihnen die Schönheit. Auf der Ebene der Emotionen müssen sie stimmig sein.“

Diese Inkonsequenz wird vor allem durch seine Weigerung vermittelt, zum Theoretiker der eigenen Produktion zu werden. Bergman gibt lieber den Praktiker, der mit „unsentimentaler Zärtlichkeit“ an den hochspezialisierten Aufgabenstellungen interessiert ist. Gerne plaudert er also über die Umstände, die zum Gelingen oder, noch besser, zum Misslingen seiner Filme beigetragen haben.

Renate Bleibtreus Annäherungsversuch an Ingmar Bergman will hingegen den literarischen Fokus etablieren. Die Übersetzerin hat aus bisher meist unveröffentlichtem Archivmaterial das umfangreiche „Im Bleistift-Ton“ zusammengestellt. Erzählerische Texte, Tagebuchmaterial, vor allem aber Drehbücher und Szenarios, die zu chronologisch angeordneten Bausteinen eines so genannten Werkporträts werden. Zwar lassen sich jetzt die Filme „Persona“ und „Fanny und Alexander“ nachlesen, ob es aber so viel Sinn macht, Bergman von der Seite des Schreibens her zur Entdeckung freizugeben, sei dahingestellt. Zwar zeigt sich hier eine Prosa der feinen Beobachtungsgabe und flaubertartigen Wendigkeit, sie wird aber dadurch entwertet, dass ihre Präsensform immer an ihre ursprüngliche Skizzenfunktion erinnert.

Womöglich ist Ingmar Bergmans Autobiografie „Laterna Magica“ immer noch das „Werk-Porträt“, das seiner Arbeit am nächsten kommt, weil es die Spannungen offen legt, die ihr zu Grunde liegen. Schon früh hat Bergman an der Familie die sozusagen handwerklichen Seiten entdeckt. Der Pfarrerhaushalt, in dem er aufwuchs, war für ihn die erste Lektion im Fach „Herstellung lebender Bilder“. Die Unterschiede zwischen dieser Familienproduktion von Pflichtbewusstsein, Zwang und Öffentlichkeit und der, die im Film- oder Theaterbereich stattfindet, schienen ihm nicht groß zu sein. Das Theater hat ihm dann die Stoffe zugeführt und die Möglichkeiten bereitet, immer wieder mit ihnen umzugehen. Deshalb spielt das Gelingen/Scheitern noch im Interview mit Assayas eine so große Rolle, denn nur die ständige Arbeit kann etwas hervorbringen. Deshalb war seine Ablehnung von 68 so scharf. 68 war wie der Abschied von allem, was ihn produktiv gemacht hat: die bäuerlich unsentimentale Bürgerlichkeit, vor allem aber Techniken und Traditionen.

Ohne diese Posten und seine über Jahre erarbeitete Liebe zu den Stücken von Ibsen und Strindberg hätte es auch einen Filmregisseur Bergman nicht gegeben, der wie niemand vor ihm die Paarräume der Mittelschicht und ihr labiles Gleichgewicht zwischen Zuneigung und Erniedrigung, Traum und Berechnung, Gewalt und Wahrheit ausgeleuchtet hat. MANFRED HERMES

Olivier Assayas, Stig Björkman: „Gespräche mit Ingmar Bergman“. Alexander Verlag, Berlin 2002, 150 S., 15,90 €ĽIngmar Bergman: „Im Bleistift-Ton. Ein Werk-Porträt“. Hrg. und übersetzt von Renate Bleibtreu. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 2002, 896 S., 24,50 €