das personal der wahl
: Asterix und sein mächtiger Antipode

Dirty Jürgen

Kann man Kai Diekmann eigentlich wählen? Abwählen kann man ihn jedenfalls nicht, auch wenn mancher das sicher gerne täte: Das Amt des Chefinquisitors der Bild-Zeitung entzieht sich dem Zugriff des Volkssouveräns, des Wählers. Dabei nehmen Diekmann und sein Revolverblatt zu gerne dessen Stelle ein, wenn sie sich mal wieder als Vox Populi gerieren.

Mit dem, was wohl als Bonusmeilen-Affäre in die Annalen der Bundesrepublik eingehen wird, hat Diekmann nun eine eindrucksvolle Demonstration seiner Macht gegeben: Erst konnte er mit den Hunzinger-Geschichten endlich den allseits unbeliebten, aber doch lange standhaltenden Scharping zum Rücktritt drängen, dann die Grünen und die PDS um zwei ihrer zentralen Symbolfiguren bringen. Panisch und kopflos ließen die Grünen einen ihrer größten Hoffnungsträger aus Amt und Würden kegeln, während der PDS-Star die Gelegenheit wohl eher als günstig erachtete, seinen Kopf noch mit einem Rest an Würde aus der Berliner Schuldenschlinge zu ziehen. Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass man gegen die Bild-Zeitung in Deutschland nicht regieren kann, dann wäre er deutlicher eigentlich nicht zu erbringen. Linken Verschwörungstheorien dürfte das neuen Auftrieb geben. Aber auch einem Bundeskanzler Stoiber müsste es eigentlich etwas mulmig zu Mute werden angesichts der Feuerkraft, mit der die Bild-Zeitung derzeit den Weg für seine Machtübernahme freischießt.

Aus eigenem Antrieb raffen sich die Unionsparteien schließlich nur schwerfällig zum Angriff auf. Also hat Diekmann nun den Part von Generalsekretär Laurenz Meyer übernommen und lässt dessen anfängliche Versuche in Wahlkampf-Demagogie (Wer erinnert sich noch an die Schröder-Fahndungsfotos als Politverbrecher?) wie altbackene Lausbubenstreiche wirken. In der Wiederholung wird die Farce allerdings zur Tragödie für die Berliner Regierungsparteien. Interessanterweise befördert die Bild-Zeitung dabei mit aller Macht, was die CDU-Strategen ja sorgsam zu vermeiden versuchen: Das Rennen zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb zum Lagerwahlkampf, ja gar zum Kulturkampf zu stilisieren.

Das hat einen lustigen Verfremdungseffekt, denn im Licht der Bild-Berichterstattung verwandelt sich die eher farblose rot-grüne Regierung in eine bunte Horde von Umstürzlern, Chaoten und Prassern. Besonders abgesehen hat es das Blatt offenbar auf Jürgen Trittin. Nicht nur, dass Bild ihm aktive Militanz auf Demos in den Achtzigerjahren unterstellte und dabei vor einer sehr freien Interpretation unscharfen Fotomaterials nicht zurückschreckte; auch ein paar illegitime Freiflüge wollte die Zeitung dem Umweltminister anhängen. Das alles lässt auf eine starke negative Fixierung schließen, über deren psychologische Motive man nur spekulieren kann.

Denn die Zeiten, in denen Dirty Jürgen verbal den wilden Mann markierte und, ganz in der Tradition parlamentarischer Wadenbeißer wie Herbert Wehner oder Heiner Geißler, etwa den frisch gebackenen CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer als geistigen Skinhead bezeichnete, sie liegen schon ein wenig zurück. In den letzten Monaten machte sich Trittin allenfalls durch sein fortwährendes Dosenpfand-Mantra bemerkbar. Trotzdem bleibt er für seine publizistischen Gegner offenbar der leibhaftige Gottseibeiuns. Der Stachel, den seine schiere Existenz im Schröder-Kabinett für die Bild-Kamarilla markiert, scheint tief zu sitzen: Anders ist die Ausdauer nicht zu erklären, mit der sie reflexhaft nach jeder Gelegenheit greift, den verhassten Grünen-Gallier endlich zu schlagen.

Paradoxerweise dürfte die fortdauernde Dämonisierung Trittins den Grünen eher nutzen – schließlich wurde die Partei ja nicht gegründet, um der Bild-Zeitung zu gefallen. Allein schon, dass er Diekmanns persönliches Feindbild verkörpert, gibt Jürgen Trittin jene Konturen, die ihn zum Asterix der Koalition machen: Mehr noch als jede Amtshandlung als Umweltminister verleiht ihm gerade sein mächtiger Antipode die Aura der Provokation. Auch wenn das Image wenig mit realer Politik zu tun hat und nur ein mediales Zerrbild ist: Als Freund politischen Querulantentums wünscht man sich, von allen grünen Geistern möge insbesondere Jürgen Trittin im Amt verbleiben. Und sei es nur, um Kai Diekmann zu ärgern.

DANIEL BAX