Schüchtern kommt weiter

„Fickende Fische“ von Almut Getto ist eine Komödie über die erste Liebe. Dass es im Film auch um HIV-Infizierung und Mütter auf Selbsterfahrungstrips geht, gehört zur Wirklichkeit im Jahre 2002

von BARBARA SCHWEIZERHOF

Man muss schon völlig abgebrüht sein oder nicht mehr jung, um beim Thema „erste Liebe“ nicht jenes gewisse Ziehen im Bauch zu verspüren, das die Eintrübung der nüchternen Urteilsfähigkeit ankündigt. Und man muss schon sehr kinoabstinent gelebt haben, um nicht die eigenen Erfahrungen im Grunde längst als eine Art Homemovie zu erinnern. Von bittersüßer Grundstimmung natürlich; denn die gehört zur ersten Liebe wie das Starposter in die Behausung von Jugendlichen.

An der Zimmereinrichtung des 16-jährigen Jan (Tino Mewes) lässt sich schnell erkennen, dass außer seiner Mutter noch keine Frau eine wirkliche Rolle in seinem Leben gespielt hat. Und die, das zeigt der Film auch sehr bald, versucht in einem Maße, alles richtig zu machen, dass der Zuschauer bereits ahnt: Mit ihrem Sohn stimmt etwas nicht. Jan ist HIV-positiv. Bis das ausgesprochen wird, vergeht in Almut Gettos „Fickende Fische“ eine ganze Weile. Und noch später wird auch die Fallgeschichte nachgereicht: Jan hat sich bei einer Bluttransfusion nach einem Autounfall infiziert.

Bis dahin lässt sich der Film Zeit, seine Figuren anders zu charakterisieren als über klinische Diagnosen. Man sieht Jan als schüchternen und ein wenig ungelenken Jungen, der die Zudringlichkeit der Mutter noch auf sehr kindliche Weise abwehrt und sich wegträumt aus seiner Umgebung, hinein in eine Aquarienwelt. Zwei leuchtfarbene Fische schwimmen im dunkelblauen Wasser aufeinander zu – und kreuzen die Mitte, ohne sich zu berühren. Das ist eine der ersten Traumsequenzen des Films, die in Bildern vorwegnimmt, was Jan beschäftigt: Das Wasser erscheint ihm als ideales Medium für unproblematische Begegnungen. Auf der Straße nämlich kreuzt sich sein Weg mit dem von Nina (Sophie Rogall) auf Rollerskates, was damit endet, dass sie ihn umfährt. Damit die Geschichte zwischen ihnen so richtig anfangen kann, muss sich der Zusammenprall allerdings noch einmal wiederholen, denn, wie gesagt, Jan ist sehr schüchtern.

Nina dagegen ist temperamentvoll und taff. Skizzenhaft werden Szenen angespielt, mit denen der Film die jeweilige Umgebung seiner Figuren charakterisiert: Ninas Mutter hört man aus dem fernen Afrika anrufen – Selbstfindungstrip! –, der ältere Bruder ist auf dem Absprung aus der Familie, mit der neuen Freundin des Vaters unterhält Nina eine von Konkurrenz geprägte Frauenfehde. In der Rolle der mütterlichen Vertrauten erscheint die Nachbarin Angel, die sich ihren Lebensunterhalt mit dem Vertrieb von Erotikspielzeug verdient. Das lässt Nina in sexuellen Dingen erfahrener wirken, als sie ist.

Auf Jans Seite erfüllt die Rolle des schrägen Sidekicks der Opa. Wie in vielen Fernsehfamilien fungiert er als Bündnispartner für seinen Enkel, verführt zu Lebensgenuss und Abenteuer und rebelliert auf seine alten Tage gegen die ängstliche Beschränktheit seiner Kinder. Laut und gut gelaunt übt er mit Jan den entscheidenden Satz, den dieser Nina irgendwann sagen muss und verständlicherweise doch nie herausbringt: Ich habe eine ansteckende tödliche Krankheit. Es ist ein interessantes Phänomen, dass sich der junge deutsche Autorenfilm die Rentnergeneration gerne progressiver vorstellt als die der 68er-Eltern.

Das Figurenarsenal gehört also nicht unbedingt zu den originellsten Leistungen von „Fickende Fische“, der seit seiner Auszeichnung in Saarbrücken letztes Jahr mal wieder die ganze Hoffnung des deutschen Films verkörpern soll. Seine starken Seiten sind jedoch die stimmungsvolle Erzählweise in Bildern – und die beiden Hauptdarsteller. Obwohl sie manchen Satz des Drehbuchs sympathisch hölzern über die Lippen bringen, agieren Sophie Rogall und Tino Mewes mit einer Natürlichkeit, die ergreift. Möglich wird das durch die Ruhe der atmosphärisch präzise gestalteten Räume, in denen Regisseurin Almut Getto sie aufnimmt.

„Fickende Fische“ will auf keinen Fall ein HIV-„Problemfilm“ sein, sondern eine Komödie über die erste Liebe. Auf der Dialogebene verbraucht sich der Witz um die Frage, wie Fische es eigentlich treiben, ziemlich schnell. Doch in den fortgesetzten Sequenzen unter Wasser und der verlangsamten Begegnung von farbigen Wesen darin findet der Film zu einer visuellen Verdichtung, in der sich alles entdecken lässt, was den komischen Gefühlsknäuel der ersten nachhaltigen Verstörung im Leben so ausmacht: Angst und Hingabe, Schwerelosigkeit und Bedrängnis, Freiheit und Gebundensein.

„Fickende Fische“. Regie: Almut Getto. Mit Sophie Rogall, Tino Mewes u. a. Deutschland 2001, 110 Min.