Nicht jedem gefallen

Zehn Jahre nach Woodstock waren die blumenseligen Hippieideale von „Love & Peace“ ausgeträumt – zumindest bei den Protagonisten der nächsten Jugendbewegung von Punk und Neuer Welle. Ein Gespräch mit zweien, die auf sehr unterschiedliche Weise dem NDW-Erbe treu geblieben sind: Fräulein Menke und Wolfgang Müller

Interview von REINHARD KRAUSE

taz: Fräulein Menke, Herr Müller, vor zwanzig Jahren waren Sie – wenn auch mit unterschiedlichem Anspruch – Teil einer Jugendbewegung, die ursprünglich vom Punk angeregt war und bald das verkürzende Label Neue Deutsche Welle (NDW) trug. Damals sollte alles irgendwie neu und umwälzend sein. Was war für Sie so furchtbar an der Zeit davor?

Wolfgang Müller: Die Perfektion. Eine, die sich vor allem in der wachsenden Größe der Verstärkeranlagen manifestierte.

Frl. Menke: Hmm, ich fand eigentlich nichts Furchtbares an der Zeit davor! Deutsches Schlagergesülze ist zu jeder Zeit anstrengend gewesen und ist es auch heute noch, auch wenn es zum Kult erklärt wird. Ich hörte damals meine Jazzrockmucke der Siebziger und war damit musikalisch voll befriedigt.

Nicht wahr! Mit Jazzrock zur Ikone der Neuen Deutschen Welle?

Menke: Jazzrock war kultiviert und entspannend und schürte meine Ehrfurcht vor handwerklicher Qualität. Aber weil ich mich musikalisch für noch zu unerfahren hielt, solch durcharrangiertes Zeugs zu interpretieren, liebäugelte ich eher mit der Faszination der berühmten drei Akkorde, aus denen 98 Prozent aller Hammertitel bestehen. In Berlin hatte ich zudem viele Konzerte der neuen Bands besucht. Auch Punk. Und dann hatte ich die gesamte Joachim-Witt-LP „Silberblick“ auf Cassette – ein Jahr vor der Veröffentlichung. Ich habe dann das Kellerstudio meines Vaters zum Basteln in Beschlag genommen. „Hohe Berge“ entstand zunächst mit englischem Text, und notgedrungen spielte ich alle Instrumente selbst. Das Intro auf der Gitarre, deshalb die einfache Line, hihi.

Die alten Hippieformeln von Love & Peace gingen politisch als soziale Bewegung in die zweite Runde. Eine Demohymne wie Bots’ „Wir wollen wie das Wasser sein“ galt unter modernen Jugendlichen als peinlich, Nicoles „Ein bisschen Frieden“ als mitnichten friedensbewegt, sondern als oberspießig. War diese Ablehnung inhaltlich begründet oder war es eine Frage des gammeligen Sounds?

Müller: Weder noch. Keiner hatte was gegen ein bisschen oder viel Frieden, aber vielleicht eine spürbare Aversion gegen Dummheit, Verlogenheit und den Wunsch, jedem gefallen zu wollen.

Menke: Diese grinsenden Freaks gingen einem in den frühen Achtzigern auf den Zeiger, diese bekifften Romantiker, die gar nichts mehr aufregt. Da wollte man lieber undankbar und rotzig sein und provozieren. Ich bin zum Beispiel bei meinem Titel „Traumboy“ im Brautkleid mit Schleier aufgetreten. Der Look wurde prompt von einer spießigen ZDF-Redakteurin bei der „Hitparade“ untersagt.

Aus der Distanz von zwanzig Jahren fällt das negative Pathos der Neuen Welle auf, das Kokettieren mit der eigenen Kälte. War das Punk – oder ein spezifisch deutsches Phänomen?

Menke: Es war Punk. Bei mir Volksmusikpunk. Das transportiert sich glücklicherweise bis heute. Auch wenn ich heute so bissig-negative Texte über lachhafte Beziehungen wohl nicht mehr schreiben würde.

Müller: Kraftwerk, die ja ein ganz wichtiger Anreger waren, gelten ja bis heute bei vielen als cool und typisch deutsch. Ich fand sie immer ausgesprochen humorvoll. Aber es ist natürlich kein Schenkelklopfhumor, wie er derzeit allenthalben grassiert. Und jemand, der singt „Ich möchte ein Eisbär sein“, muss doch ganz süß sein. Auf keinen Fall kalt.

Sie, Frl. Menke, sangen damals: „Oft such ich nach seiner Hand, doch er macht Infostand. Mein Freund, der wählt alternativ, doch ich sitz lieber am Fenster.“ Eine Einfältige übt Kritik an einem Politaktivisten. War das Fundamentalkritik oder bloß ein Spaß à la „Sketchup“?

Menke: Es war eigentlich eine Weiterführung der These „Mann und Frau passen einfach nicht zusammen“. Es ist bloßer Zufall, dass ich – also die Frau – die Naive bin. Heute würde ich das durchaus andersrum konzipieren.

Also: Sie wählen alternativ und er sitzt am Fenster?

Menke: Richtig.

Sie, Herr Müller, hatten bei der Tödlichen Doris einen Sprechtext, in dem ein alternativ angehauchter Mensch von Selbstverwirklichung schwadroniert und dann sagt: „Auch Untermenschen haben eine wertvolle Aufgabe.“ Da gab es also das Bedüfnis nach Distanzierung, andererseits waren Sie selbst auch Teil einer „Gegenkultur“? Wie ging das zusammen?

Müller: Ich habe aus Kontaktanzeigen in alternativen Zeitschriften einfach alle Attribute herausgeschrieben, mit denen sich dort Menschen selbst darstellten. Es wimmelte von Wörtern, mit denen Selbstverwirklichung und Kreativität behauptet werden sollten. Aber alle benutzten die gleichen umschreibenden Ausdrücke. Wer von sich behauptet, er sei sensibel, beweist doch zumindest erst einmal, dass er unglaublich unsensibel und unkreativ ist. Wir haben dann auf unserer ersten Maxi wirklich alternative Kontaktanzeigen veröffentlicht: „Punker (16): Wer spielt meine Mami und schlägt mich, wenn ich meine neue Lederjacke beschmiere?“ Schauen Sie sich heute die Kontaktanzeigen in den alternativen Medien an. Sie könnten alle von unserer ersten Maxi von 1980 stammen.

Würden Sie sagen, die Utopien der Hippiegeneration wurden durch die Verweigerungshaltung der Punks und die Ironie der Neuen Welle ersetzt?

Menke: Ja. Obwohl die Punks für Anarchie und Auflehnung gegen das Althergebrachte standen und trotzdem peacig waren.

Müller: Die Punks waren einfach ein Stückchen näher an der Realität dran.

Auf Außenstehende wirkte der damalige musikalische Aufbruch durchaus als stimmige Bewegung. Liest man Jürgen Teipels Dokuroman „Verschwende deine Jugend“, gewinnt man eher den Eindruck, selbst verwandte Gruppen hätten sich gehasst wie die Pest. Hatten Sie ein Bewusstsein von Synergieeffekten der Art: Wer Platten von Der Plan kauft, kauft auch meine Platten?

Müller: Das war doch sehr gut und wichtig, dieses Abgrenzen voneinander. Nur so konnte überhaupt diese Unterschiedlichkeit und Vielfalt der Musik entstehen. Keiner wollte sein wie der andere. Die Tödliche Doris versuchte sich sogar gegen sich selbst abzugrenzen. Auf unserer ersten LP wählten wir dreizehn Stücke aus, die sich alle untereinander widersprechen sollten. So wie im Leben. Man ist ja nicht immer lieb, böse, banal, tiefsinnig, oberflächlich, schlau und doof zugleich, sondern alles wechselt sich ab.

Menke: Klar sorgten Musikmagazine wie Spex und Musik Express durch ihre Kritiken für die Eingliederung in die Schubladen „independent“ oder „kommerziell und deshalb scheiße“. Mir war’s damals egal, ob ich von den Palais Schaumburgs dieser Welt für in oder out gehalten wurde. Vor kurzem musste ich aber fast lachen, da kam Alfred Hilsberg auf mich zu, der frühere ZickZack-Inhaber, und begrüßte mich wie eine gute alte Bekannte. Das hat er damals nie gemacht!

Vorher war Musik eher eine Art Handwerk, plötzlich ließ sich Popmusik designen, konstruieren. Die Haltung wurde zum vielleicht wichtigsten Element von Pop. Plötzlich war da ein Bewusstsein, dass eine Schallplatte ein Artefakt ist, ein künstliches kleines Weltmodell, eine Spielwiese. Wären Sie auch ohne dieses geänderte Verständnis Musiker geworden?

Menke: Ich glaube schon, aber nicht im zarten Alter von 21. Fräulein Menke war ja eine von mir geschaffene Kunstfigur. Das war nicht unbedingt ich, die da sang, sondern jeweils eine andere Figur. Das half mir auch dabei, mich gegen die Vermarktung und Verbreitung meiner eigenen Person abzugrenzen.

Müller: In der Musik ließen sich plötzlich ganz wunderbare Experimente realisieren. Und es gab sogar ein Publikum dafür! Die bildende Kunst, aus der ich ja eigentlich komme, ist viel konservativer und marktorientierter. Es gab zeitgleich die neoexpressionistische wilde Malerei oder auch die Mühlheimer Freiheit. Die kam mir vor wie der Punk oder der Bürgerschreck für das bürgerliche Publikum. Was heute im Kunstbereich als neuester Trend gefeiert wird – die ganze Eventkultur, Party, DJs, Bierausschank und Fußmassage in der Kunsthalle –, das sind alles aufgewärmte Relikte aus der so genannten Subkultur der frühen Achtziger.

Kommen wir kurz auf das Styling jener Jahre zu sprechen. Wer Anfang der Achtziger noch immer zotteliges Hippiehaar trug, galt als Utopist. Mit einem Haarschnitt wurde ein moderner Jugendlicher zum Individuum. Inwieweit gehörte für Sie die Optik zum Gesamtkonzept?

Müller: Die war sehr wichtig. Zu jedem der dreizehn Songs unserer ersten LP haben wir einen utopischen Modeentwurf kreiert. Da gab es zum Song „Panzerabwehrfaust“ eine Frisur, bei der aus dem streichholzkurzen Haar ein kleines Quadrat herausrasiert und durch ein Stück gleich großen, ähnlich farbigen und gleich langen Teppich ersetzt wurde: die Teppichhaarfrisur. Sie war radikal, aber gleichzeitig so unauffällig, dass nur aufmerksame Beobachter sie wahrnahmen, eine Art Metapunkfrisur.

Menke: Ich hatte ja auch zu jeder meiner Singles ein anderes Outfit, das war Teil des ironisierenden Gesamtkonzepts. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, verschiedene Identitäten anzunehmen und durchzuspielen: die Alpenhexe, das Marinegirl oder das doofe Bräutchen.

Wie sind Sie damit umgegangen, dass alles, was nach NDW roch – deutsche Texte, Ironie –, spätestens 1984 ein bisschen peinlich war?

Müller: Wir schufen die erste unsichtbare LP der Welt. 1984 nahmen wir die LP „Unser Debut“ auf, die gewollt, bemüht, angestrengt und U-musikmäßig klingen sollte – wie eine Band, die unbedingt Erfolg haben will. Sie erschien bei Ata Tak und wurde in der Spex von dem Maler Peter Bömmels als gewollt, bemüht und angestrengtes Produkt verrissen. Zeitgleich produzierten wir die LP „sechs“, das genaue Gegenteil: unabhängig, autonom und souverän, richtige E-Musik. Wir boten sie der DDR-Firma Amiga an, leider erfolglos. Diese LP bekam in Spex ein entsprechendes Riesenlob von Diedrich Diederichsen. Sie erschien 1985. Tatsächlich aber waren beide LPs so konzipiert, dass, wenn man jeweils die A- beziehungsweise B-Seiten gleichzeitig abspielte, sie ein Ganzes ergeben. Musik und Text beider Platten sind sekundengleich aufeinander abgestimmt. Es wäre der Hammer gewesen, wenn das mit Amiga geklappt hätte: die erste BRD-DDR-Vereinigung seit dem Mauerbau! Die unsichtbare LP wird übrigens am 3. Oktober in Leipzig von Françoise Cactus und Brezel Göring in Szene gesetzt.

Menke: Ich habe damals noch ein bisschen rumprobiert und zum Beispiel eine Single unter meinem vollen Namen herausgebracht, die eher ein wenig verunglückte in Richtung Schlager. Man war irgendwie selbst gebremst. Eigentlich wollte ich zurück in meine Anonymität und habe meine Karriere nicht weiter forciert.

Welche Bedeutung hat Ihr Frühwerk für Ihr jetziges Leben?

Menke: Es ist natürlich nicht wegzudenken und hat mir auch auf anderen Ebenen einiges ermöglicht. Ich bin direkt gerührt, dass sich jetzt, nach zwanzig Jahren, noch so viel Interesse an uns Künstlern zeigt und wir auch so viele Livekonzerte geben.

Müller: Bei mir gab es keinen Bruch. Spätestens 1984 versuchte die Industrie, eigene Independentprodukte zu etablieren. Die alten Vorkämpfer reagierten panisch. Die Einstürzenden Neubauten etwa sprachen plötzlich davon, einen Hit landen zu müssen. Es war etwas ernüchternd, wie plötzlich alle an ihre Rente dachten. Das beendete die kreative Phase dieser Zeit. Ich habe mein Interesse dann auf Island gerichtet – was absolut nicht „in“ war – und dort unter anderem die bewundernswerte Souveränität der Elfen und Zwerge kennen- und liebengelernt.

Herr Müller, Sie verschenken Ihre frühen Aufnahmen per Internet. Unter www.die-toedliche-doris.de kann jeder das Gesamtwerk der Doris herunterladen. Ist das ein Erbe von Punk?

Müller: Natürlich! Es ist doch wunderbar, das musikalische Gesamtwerk von über sieben Stunden in bester Qualität weltweit jedem gratis zugänglich machen zu können.

Fräulein Menke, Sie haben in den letzten zehn Jahren zum Teil mit NDW-Partys ihr Leben bestreiten können. Ist Ihr früher Erfolg eher eine Gewinn bringende Aktie oder eher ein Fluch, den Sie nicht loswerden?

Menke: Sowohl als auch! Die Liveauftritte sind ein ziemlich lohnendes Geschäft, und ohne sie würde ich im Moment kaum zurechtkommen. Vielleicht bin ich dadurch aber tatsächlich ein wenig bequem geworden und spüre nicht den notwendigen Druck, mein Talent und meine Möglichkeiten immer wieder neu unter Beweis zu stellen.

Herr Müller, zum Schluss eine dringende Frage von meiner Kollegin Doris B. aus der taz-EDV. Doris B. war vor vielen Jahren die treibende Kraft, Sie aus einem Job bei der taz „hinauszukanten“, wie sie es formuliert. Sie seien leider etwas unzuverlässig gewesen. Kurz danach gründeten Sie Ihre Band, Die Tödliche Doris. Doris B. will nach all den Jahren und Gewissensbissen endlich Klarheit: Haben Sie bei dem Namen an sie gedacht?

Müller: In der Frühzeit der taz hatte ich tatsächlich einen Vertretungsjob bei der Anzeigenseite, der „Wiese“. Dort etablierte ich das „Fotostudio für unmögliche Fotografie“, wo jeder seine verwackelten, unscharfen und peinlichen Fotos zur Veröffentlichung einsenden konnte. Das fand großen Anklang bei den Lesern. Es wurde diskutiert, mich fest anzustellen. Ich hatte aber bis heute keine Ahnung, dass Doris die treibende Kraft war, die das verhinderte. Aber wer weiß, vielleicht hat sie ja damit erst Die Tödliche Doris möglich gemacht?

REINHARD KRAUSE, Jahrgang 1961, ist taz.mag-Redakteur. Die Neue Welle der frühen Achtzigerjahre hat sein Leben nachhaltiger verändert als etwa Tschernobyl