Offen gelegte Bezüge

Hoffentlich nicht nur auf dem derzeit laufenden Fantasy-Filmfest im Grindel: Johnnie Tos „Fulltime Killer“ schlägt einen Bogen vom Hongkong-Kino zu Autorenfilmern westlicher Provenienz

von CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

Ein Gesicht wie eine Maske. Ein schlanker, in feinen Zwirn gekleideter Männerkörper, der sich zur Rushhour durch einen Bahnhof schiebt, dann langsam, wie vorprogrammiert eine bewaffnete Hand ausfährt, auf ein paar Männer zu schießen beginnt – und mit großem Gleichmut noch einen ehemaligen Schulfreund niederstreckt, weil der versuchte, bei ihm ein Zeichen des Wiedererkennens hervorzurufen. Kaum fünf Minuten sind vergangen seit Beginn von Johnnie Tos Fulltime Killer, schon reibt man sich die Augen: Kennen wir das nicht aus dem Kino des Westens?

Johnnie To macht, seit er 1993 zusammen mit Wai Ka-Fai die Produktionsfirma Milkyway Image gegründet hat, ein Hongkong-Kino, das mehr sein will als das, was landläufig damit verbunden wird. Und sein Erfolg – mitten in der andauernden Krise der Filmindustrie der ehemaligen Kronkolonie – hat diesem Vorhaben bislang Recht gegeben. An US-amerikanische und französische Filme fühlten sich viele schon erinnert, als seine drei Filme des Jahres 1999, The Mission, Running Out of Time und Where a Good Man Goes, in hiesige Kinos kamen. Doch diesmal hat To die Schraube der Bezugnahmen noch etwas fester gedreht.

Der in absoluter Anonymität lebende O (Takashi Sorimachi) ist in Asien die Nummer 1 unter den Auftragskillern. Noch vorsichtiger als Der Samurai Melvilles, bewohnt er nicht einmal sein eigenes Appartment: O hat sich in einem leer stehenden Bürogebäude gegenüber Unterkunft und Ausguck eingerichtet. Und wie Delon seinen Kanarienvogel, beobachtet er von dort andeutungsweise verliebt das Mädchen Chin (Kelly Lin) beim Aufräumen seiner Wohnung.

Der Figur des Einsamen mit den traurigen Augen hat To einen exaltierten Widersacher zur Seite gestellt: Tok (Andy Lau), selbst Hitman, macht O den Rang streitig, und dafür ist ihm nichts zu schade, auch nicht das Leben seines Bruders. Die Inspirationen für sein bleihaltiges Tun bezieht er aus dem Manga Crying Freeman, vor allem aber aus dem Kino.

Man mag es als plumpe Hinweise ansehen, dass er Chin, an die er sich heranmacht, um O zu treffen, von seiner Begeisterung für Filme wie Le Samurai oder Leon – Der Profi erzählt oder dass er den Interpol-Agenten Lee (hervorragend: Simon Yam) dazu bewegt, mit dem Aufschreiben der Geschichte der Hassliebe zwischen O und Tok womöglich die Vorlage für einen Film zu liefern. Doch für den Hinweis, dass vollkommen durchstilisierte Thriller, Filme mit ritualhaft agierenden Helden ein fester Bestandteil nicht nur des Hongkong-Kinos sind, musste vielleicht einmal jemand so deutlich werden.

Sonnabend, 14 Uhr, Grindel