Bye-bye, Subversion

Die Verkaufszahlen der Musikindustrie gehen nach unten. Auf der Popkomm in Köln wurde deshalb die Nähe zur Politik gesucht – um per Quote mehr deutschsprachige Musik im Radio einzufordern

Die Popindustrie benimmt sich in der Rezession wie andere Wirtschaftszweige

von GERRIT BARTELS

In der Krise heißt es, zusammenzurücken. „Wir helfen Euch“ steht in großen schwarzen Buchstaben auf der Samstagtitelseite des Kölner Express, als die Ausmaße der Flutkatastrophe noch immer nicht abzusehen sind. Die Musikwirtschaft und mit ihr die Popkomm sind zwar auch in der Krise, trotzdem geht es hier natürlich weniger dramatisch zu. Da wagt man schon mal einen kleinen Ausblick in Form einer Diskussionsrunde mit dem Titel „Talsohle durchschritten – und nun?“ Das Panel im großen Rheinsaal ist die Topveranstaltung des Kongresses, hier sitzen die Leute auf dem Boden und stehen dicht gedrängt auch an den Seiten und hinten, um zu hören, was die Musikchefs der großen fünf zu sagen haben: Tim Renner (Universal), Bernd Dopp (Warner), Udo Lange (EMI). Balthasar Schramm (Sony) und Thomas M. Stein (BMG).

Geschlossen lassen sie jede Kritik aus dem Publikum an sich abprallen. Zum Beispiel bei der Preispolitik der Majors: „Umso erfolgreicher wir einen Künstler aufbauen, umso weniger verdienen wir an ihm“, und geschlossen sind sie einer Meinung über die Ursache ihrer nun schon seit drei, vier Jahren andauernden Misere: das Brennen von CDs und das Downloading von Musik aus dem Netz. Dass an diesem Nachmittag fünf Konkurrenten über ihre Einschätzungen der Lage Auskunft geben, merkt man im Verlauf des Gesprächs, als vom „langfristigen Künstleraufbau“ die Rede ist und Thomas Stein durchaus nicht von seiner Strategie der unermüdlichen One-Hit-Wonder-Produktion abrücken will. Hätte doch auch bei Madonna niemand gedacht, dass sie 20 Jahre nach „Holidays“ immer noch groß dabei sei!

Trotzdem herrscht auch in einem anderen Punkt Geschlossenheit: Die Politik muss helfen! Die Popindustrie benimmt sich in Zeiten der Rezession nicht anders als andere Wirtschaftszweige. Und die Politik fühlt sich auch in Sachen Pop aufgerufen, mitzureden und ökonomische Rahmenbedingungen genauso wie kulturelle zu diskutieren, wie ein Panel namens „Pop und Politik“ beweist. Bye-bye, Subversion, auch wenn das höchstens noch ein klitzekleiner Rest war. Pop braucht jetzt Hilfe von Politikern wie Steffen Kampeter (CDU) und Markus Engels (SPD), die sich als Little-Feat-Fans und HipHop-Kenner zu erkennen geben.

So ist es kein Wunder, dass nach den gescheiterten Visonären Thomas Middelhoff (Bertelsmann) und Jean Marie Messier (Vivendi Universal), die in den Vorjahren die so genannten Keynotes hielten, in diesem Jahr Kulturminister Julian Nida-Rümelin bedächtige Worte an die Gemeinde richtet: zur Popmusik und Pop im Allgemeinen und der kulturellen Vielfalt des Marktes im speziellen – Stichwort Radiolandschaft, Stichwort Quotenregelung. Gerade Letztere wirkt im Verein mit dem Urhebergesetz und dem Kopierschutz wie ein Strohhalm, an dem die Musikindustrie sich verbissen festhält.

Auch Middelhoff und Messier stimmten zwar in den beiden vergangenen Jahren in das Klagelied von der Rezession und den bösen Raubkopierern und Netzpiraten. Doch beide verstanden es, gleichzeitig Aufbruchstimmung zu suggerieren und die Vorteile zu preisen, die das Netz der Musikindustrie erweisen würde. Dieses Jahr regiert die reine Nüchternheit. Fast skeptisch gibt sich die Industrie dem kürzlich von Tim Renner vorgestellten, kostenpflichtigen Downloaddienst Popfile.de gegenüber. Viel Hoffnung wird auch nicht in Two-Track-CDs gesetzt, und das verstärkte Investieren in DVDs als zweiten „physischen“ Tonträger neben der CD verspricht auch nicht gerade höhere Gewinnspannen.

Dann lieber die Quotenregelung, die den Segen der Politik braucht und eine 50:50-Quote für Neuheiten und deutschsprachige Titel vorsieht, die im Radio gespielt werden. Denn, so eine Erklärung der Verbände der deutschen Musikwirtschaft: „Radio diskriminiert heute junge deutsche Musik zugunsten des internationalen Mainstreams und vernachlässigt damit seinen Kulturauftrag“.

Abgesehen davon, dass es in erster Linie die Musikindustrie ist, die die Radios mit dem „abschaltfesten“ Chartfutter versorgt und sich die Majors in Zeiten hoher Umsätze und Gewinne nicht gerade als oberste Bewahrer von Kulturaufträgen geriert haben, wundert man sich angesichts der Forderung nach einer Quotenregelung insbesondere beim Gestalten des abendlichen Musikprogramms in Köln. Nachdem man schon den Donnerstagabend beim Kitty-Yo-Abend im Gebäude 9 hat ausklingen lassen, bei Auftritten von Tarwater und dem Jeans Team (beide Berlin), sitzt man also einen Abend später mit Freunden und Kollegen im Stadtgarten herum und überlegt. Soll man im Stadtgarten bleiben, beim Kompakt-Labelabend (Köln)? Oder doch wieder ins Gebäude 9, wo Bands wie Donna Regina (Köln), Lalipuna (München) oder Komeit (Berlin) auftreten? Vielleicht zu Tocotronic (Berlin) ins E-Werk? Oder ins Basement? Zu Boy Divison (Hamburg) und Sitcom Warriors (Berlin)? Schließlich geht es ins Bürgerhaus Stollwerk, wo die Berliner Band Ragazzi ein Achtzigerjahre-Set spielt, vor allem aber Console aus München einen furiosen Auftritt absolvieren, dem weder das Fehlen des Drummers noch technische Probleme etwas anhaben können.

Zufall ist das nicht. Pop made in Germany gibt es mehr denn je. Nur kennt diese Form von Pop wahrscheinlich keiner vom Radio; wahrscheinlich aber kennt auch Thomas Stein keine einzige dieser Bands, da fast alle von ihnen bei Indielabels unter Vertrag sind. Da stellt sich die große Krise wieder als eine hausgemachte dar, als Strukturproblem, und da wird sie am Popkomm-Wochenende auch noch karikiert durch das Ringfest. Auf mehreren Bühnen tummelt sich der mal verpönte, dann wieder doch so gern gecastete Charttrash in Form von Acts wie B3, Mark Öh, DJ Dean, Ben & Gim oder Der Junge mit der Gitarre. „Fest der Superlative“ nennt der Kölner Stadtanzeiger das Ringfest jedes Jahr aufs Neue, ein Fest, das keine Krise kennt und zu dem bis zu 2 Millionen Menschen strömen. Fast schon resigniert, aber korrekt wird dann von den großen fünf die auf dem Panel formulierte Frage nach dem „Was nun?“ beantwortet: „Das letzte Wort hat immer der Endverbraucher!“