Viel Rauch und Nichts

Die Kunst, sich in Luft aufzulösen: In Paul Austers neuem Roman „Das Buch der Illusionen“ verschwinden Filmrollen, Stummfilmstars und Manuskripte

von GERRIT BARTELS

Es kommt einem vor wie der Schlag mit dem berühmten Holzhammer, als der Literaturprofessor David Zimmer endlich eines der anspruchsvollen Spätwerke des Stummfilmkomikers Hector Manns sehen kann, kurz bevor die Filmrollen in Flammen aufgehen. In Paul Austers neuem Roman „Das Buch der Illusionen“ geht es ganz offensichtlich um die Essenz künstlerischer Arbeit: um die Wechselwirkungen von Kunst und Leben, um die Liebe, den Tod und das Schreiben.

Das muss auch der bornierteste Leser registrieren, und das soll selbst der bislang gut bediente Groschenheftfan neidlos anerkennen: Dies ist Literatur. Zimmer, Austers leidgeprüfter Ich-Erzähler, schaut sich den Film „Das Innenleben von Martin Frost“ an. Der ausgepumpte Schriftsteller Martin Frost sucht in einem Landhaus von Freunden, die gerade auf Reisen sind, Entspannung. Hier hat er nicht nur auf einmal wieder eine Idee für eine Geschichte, „plötzlich ist etwas da und lauert in dir“, hier ist auch mit Claire genauso plötzlich eine bezaubernde Frau da und lauert auf ihn. Die beiden verlieben sich. Doch während Frost von Tag zu Tag besser mit dem Schreiben vorankommt, geht es seiner Muse von Tag zu Tag schlechter. Frost muss sein Manuskript verbrennen, um Claire zu retten: „Das sind doch nur Worte, alles nur Worte.“ Und Claire fragt: „Was, um Gottes willen, sollen wir tun?“

Die Kunst zerstört das Leben, aber das Leben ist doch nichts ohne die Kunst – so lautet die knarzende Moral dieser und noch einiger Geschichten mehr, die Auster im Angebot hat. Solche, schlechtere, die auf schweren Stiefeln dahergestapft kommen und zeigen sollen, wie viel Tiefgang sich hinter Kitsch verbirgt. Aber auch solche, viel bessere, die einfach nur Kitsch sind, reine Oberfläche und purer Effekt. Sie konstituieren diesen Roman nicht ohne Grund, versucht Auster doch durchaus erfolgreich, filmisches Erzählen mit literarischem zu verknüpfen, Literatur mit den Mitteln des Films zu erschaffen.

Im Mittelpunkt seines Buches steht der Stummfilmstar Hector Mann, der 1929 spurlos verschwindet, weil er in ein Eifersuchtsdrama mit Todesfolge verstrickt war. Eher zufällig auf der Spur ist ihm nun, 60 Jahre später, David Zimmer, der Frau und Kinder bei einem Flugzeugabsturz verloren hat. Schwer reaktiv-depressiv, sieht er eines Tages die Filme von Mann, die ihn am Leben erhalten und schließlich zum Schreiben eines Buches über den Stummfilmstar animieren. Bald taucht bei ihm die junge Alma auf, die sagt, dass Mann noch lebe und ihn, Zimmer, gern kennen lernen würde. Außerdem solle er auch die Filme gezeigt bekommen, die Mann nach seinem Verschwinden gedreht habe und die nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt hätten. Zimmer macht sich mit Alma auf den Weg, nicht ohne sich in sie zu verlieben. Sie erzählt ihm die weitere Lebensgeschichte Manns und auch die eigene.

So ergibt sich eine Geschichte aus der anderen, so taucht Zimmer von den frühen Filmen Manns in einen eigenen, völlig neuen Film. Die Überblendungen sind perfekt, die Rückblendungen harmonisch integriert, grelle Bilder und schöne Kulissen inklusive. Auster behält den Überblick. Er verspricht – von wegen Illusionen – an keiner Stelle mehr, als er halten kann. Sein Skript kennt kein Erbarmen: Jedes Rätsel erfährt seine Auflösung, jeder Zufall hat seinen Sinn, jeder Kreis löst sich in einem anderen auf. Also werden die Filme von Mann alle verbrannt, mitsamt der ultimativen Biografie Almas über Mann, woran schließlich auch Alma zugrunde geht. Merke: Wer Kunst zerstört, zerstört auch Leben.

Selbst das aber lässt sich regeln. Auster hat noch einen weiteren, hübschen Kniff parat: Zimmer verfügt, seine Geschichte erst nach seinem Tod erscheinen zu lassen – genau wie einst Chateaubriand, den Zimmer übersetzt hat. Auch aus dem Grabe heraus lassen sich also Kunstwerke erschaffen. Paul Auster aber lebt, höchstwahrscheinlich. Und er lässt seinen Helden Zimmer in der Hoffnung, dass die verbrannten Mann-Filme vielleicht noch existieren. Denn, wenigstens das lehren Illusionen: Sicher ist nichts im Leben.

Paul Auster: „Das Buch der Illusionen“. Deutsch von Werner Schmitz. Rowohlt, Reinbek 2002. 383 Seiten, 19,90 €