Der Sohn und sein billiger Scherz

Ein „Titanic“-Leser wollte Reserveoffiziere per Anthrax-Drohung foppen. Das kostet ihn nun 300 Euro

„Dieser Prospekt enthält pures Anthrax! Alles Liebe, Euer Osama!“ Diese ebenso schlichte wie freundliche Drohung, mit Kugelschreiber hingekritzelt auf ein Faltblatt und versehen mit einer kleinen Totenkopfzeichnung, löste in den frühen Abendstunden des 20. Oktober vergangenen Jahres in Berlin-Mitte einen größeren Polizeieinsatz aus.

Das Faltblatt war im weiten Atrium eines Bankgebäudes auf einem Stehtisch liegen geblieben. Ein Verein von Reserveoffizieren der Bundeswehr hatte hier vorher eine Veranstaltung zum Thema EU-Osterweiterung abgehalten. Die Offiziere waren schon zum Abendessen ins Restaurant verschwunden, als die Zeugin S. den Prospekt beim Aufräumen fand. Sie alarmierte sofort die Polizei.

Jetzt sitzt ein blasser 28-jähriger Kurt H. auf der Anklagebank des Landgerichts. Er gesteht sofort alles. So wie er auch schon gleich nach der Tat, aufgespürt inmitten der heiteren Bundeswehrgesellschaft im Restaurant, alles gestanden hat: „Es war nur ein blöder Witz“, meint Kurt H. Nervös knipst er an den Fingernägeln herum. „Wir hatten Bier getrunken. Wahrscheinlich war ich schon dull im Kopf.“

Ein Scherz aus einer Bierlaune heraus, der kurze Zeit nach den Anschlägen in New York am 11. September letzten Jahres allerdings in ein hysterisiertes gesellschaftliches Klima fiel. In den USA waren in jenen Wochen zahlreiche Briefe mit Milzbranderregern aufgetaucht, bei denen mehrere Menschen verletzt und getötet worden waren. Auch nachdem Kurt H. sich bei der Polizei längst entschuldigt hatte für seinen Witz, durchsuchten sechs Beamte seine Wohnung und nahmen ihn zur Handschriftenanalyse mit aufs Revier. „Die Aufschrift auf dem Prospekt war geeignet, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung hierzulande erheblich zu beeinträchtigen“, erklärt der Staatsanwalt jetzt in der Gerichtsverhandlung.

Es gibt wenig, was der Angeklagte hinzufügen kann. Selbst sein Anwalt spricht von einer „gnadenlosen Dämlichkeit“. Kurt H. kommt aus einer konservativen Adelsfamilie. Seine Eltern haben ihn aus der niedersächsischen Kleinstadt in eine Elitetruppe der Bundeswehr geschickt, wo er Disziplin, die russische Sprache und das Trinken gelernt hat. Sie haben ihrem Sohn eine Medienausbildung auf einer Privatuniversität in Südafrika bezahlt. Jetzt sitzt Kurt H. arbeitslos in Berlin. Er sagt, er liest gerne die Satirezeitschrift Titanic, „die haben ja auch einen seltsamen Humor“. Sein Vater überweist ihm jeden Monat 500 Euro aufs Konto. Natürlich hat es zu Hause großen Ärger gegeben wegen der Sache. „Ein innerfamiliärer Vulkan ist ausgebrochen“, sagt der Anwalt sogar.

Man kann sich das vorstellen. Vielleicht reagiert der Richter deswegen milde: Eine Strafe von 300 Euro muss Kurt H. zahlen – das war’s. Hinterher gibt der Verteidiger den Lokaljournalisten im Gerichtsflur Interviews, auch ein Fernsehteam ist da. Sein Mandant fremdelt bleich und still zum Gebäude hinaus, wohl den nächsten innerfamilären Vulkanausbruch fürchtend. Der Anwalt ruft: „Sie müssen irgendwie zusehen, dass Ihr Vater diese Zeitungen nicht zu Gesicht bekommt!“ KIRSTEN KÜPPERS