Die Rettung des Rubens

Wenn eine mythologische Meeresszene von einem Ertrinkenden vor dem Ertrinken gerettet werden muss: In Sachsen fangen jetzt die Aufräumarbeit und die Schadenbesichtigung in Sachen Kunst an

Das Eintrittsgeld entfällt in der Hoffnung auf großzügige Spenden

von SUSANNE ALTMANN

„Die Überfahrt am Schreckenstein“ heißt das Gemälde, das Ludwig Richter 1837 malte, ein paar Jahre vor jener schrecklichen Flut, die jetzt wieder als Referenz für Pegelstände herhalten muss. Die elegische Gesellschaft auf dem Boot quert die Elbe bei Ústí nad Labem, der Himmel zeigt sich pflichtgemäß romantisch, und das Wasser fließt friedvoll. Doch nun bietet sich weder im böhmischen Ústí noch sonstwo flussaufwärts ein solcher Anblick. Auch das Bild selbst ist kaum mehr zu sehen, denn dort, wo es bislang ungestört im Kreise weltberühmter Romantiker-Malerei hing, befindet sich heute ein Evakuierungslager. Unzählige Skulpturen und Gipsabgüsse aus den unterirdischen Depoträumen des Dresdner Albertinums scharen sich davor und versperren die Sicht.

Auch in der Antikenhalle, sonst elegant und sparsam mit Werken von Phidias und Myron bestückt, drängen sich nun Gipsabgüsse aus allen Zeiten. In nachgerade surrealistischen Installationen finden sich ein Donatello neben einem lächelnden Kouros, Historienfiguren aus dem 19. Jahrhundert neben einem Kopf von Marc Aurel. Und mit Galgenhumor und gehörigem Sinn für die bizarre Ästhetik beschlossen die Dresdner Museumsleute, diesen Anblick der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen. Seit vorgestern stehen die Türen des Albertinums wieder offen, das Eintrittsgeld entfällt in der Hoffnung auf großzügige Spenden. Gewiss haben die meisten Dresdner dieser Tage alles andere zu tun, als ins Museum zu gehen, doch Ulrich Bischoff, Direktor der Gemäldegalerie Neue Meister, ist sich sicher, das Richtige getan zu haben: „Wir haben die wenigsten Schäden; wir müssen zeigen, dass wir noch da sind.“

Vor reichlich einer Woche sah das noch ganz anders aus. Am Dienstag, als das Wasser aus allen Richtungen kam: vom Fluss Weißeritz aus dem Erzgebirge, von den unterirdischen Bächen und schließlich von der Elbe, rannte Bischoff in die die Semper-Galerie, ursprünglich um Hilfe zu holen: „Die haben mich gleich dabehalten.“ Dort lief seit einigen Stunden die Bergung der Werke Alter Meister. In Depots, die erst vor zehn Jahren zur grandiosen Wiedereröffnung des rekonstruierten Hauses eingeweiht und mit dem letzten Stand an Technologie ausgestattet worden waren, stieg unaufhaltsam der Wasserpegel. Hier lagerten zwei Drittel des riesigen Gesamtbestandes, der mangels Ausstellungsfläche nie gezeigt werden kann. Rubens’ Gemälde „Hero und Leander“ gehört dazu – eine mythologische Meeresszene mit einem Ertrinkenden. Gemeinsam mit Van Dycks, Cranachs und Canalettos wurde es in die oberen Stockwerke getragen. Einige größere Leinwände blieben zurück – als Rollen unter die Decke geschnürt, ein Veronese teilt sich noch immer das feuchte Exil mit einem Hans Grundig. Dennoch, die Verluste halten sich in Grenzen. Kein Vergleich mit der Überschwemmung in Florenz 1966, als Kunstwerke auf dem Arno trieben, sagt Generaldirektor Martin Roth: „In einer Mischung aus Glück und Zufall waren wir immer ein Stück voraus.“

Das ist die gute Nachricht, die er in einer der nunmehr täglichen Pressekonferenzen verkündet, während die Pumpen auf Hochtouren laufen. Im Kreise seiner völlig erschöpften Direktoren und Mitarbeiter zieht er erste Bilanz, mahnt vehement politische Verantwortung an: „Wir verwalten hier einen Staatsschatz.“ Trotzdem: Die Galerie Alter Meister hat nur ganze zehn Jahre existiert: „Sie kann nicht mehr verwendet werden.“ Die gesamte technische Infrastruktur des Zwinger-Areals ist ruiniert: Heizung, Klima- und Alarmsystem, Aufzüge. Und jene, die jetzt wohl am allermeisten gefragt sind, die Restauratoren, haben keine Werkstätten mehr. Der Hausherr der Alten Meister, Harald Marx, bietet ein lebendes Bild des Kummers. Ihm ist klar, dass es nicht mit Reparaturen getan sein wird: „Die Bilder und die Haustechnik dürfen nie wieder in die Kellerräume zurückkehren. Hier müssen ganz neue Baukonzepte entwickelt werden. Auch das Residenzschloss kann nicht mehr so weiteraufgebaut werden wie geplant.“

Sein Kollege André van der Goes vom Kunstgewerbemuseum in Pillnitz weiß als deicherprobter Niederländer um den Wert von Prognosen: „Das Jahrtausendhochwasser kann in ein paar Jahren gleich wieder geschehen.“ Sein Haus, ein barockes Wasserschloss elbabwärts, musste am Freitag evakuiert werden. Die Helfer liefen über die Dächer und sahen den Fluss stetig näher kommen. Unter ihnen Ulrich Bischoff, nach zwei Rettungen nun quasi ein Spezialist, räumte die Mittelalter-Abteilung aus. Glück im Unglück, die Elbe kam 30 Zentimeter vor dem Wasserpalais zum Stillstand und verschonte einzigartige Parkettböden und historische Tapeten.

Die überschwemmte sächsische Kulturlandschaft freilich heißt nicht nur Dresden und ist in Gefahr, ein zweites Mal beschädigt zu werden. Hier kämpfen nun zahllose kleine Museen, Kirchenschätze und Baudenkmäler ums nackte Überleben. In Grimma brachte Museumsleiterin Marita Pesenecker Sammlung und Archiv im Alleingang in Sicherheit. Die schwer getroffene Stadt an der Mulde muss jetzt auch um historische Gebäude bangen, die im Eifer des Wiederaufbaus abgerissen zu werden drohen. „Dort geht der Baudezernent durch die Straßen und erteilt Abrissgenehmigungen“, weiß der kommissarische Leiter der sächsischen Landesdenkmalpflege, Michael Kirsten. Er selbst sitzt in Dresden in einem Notquartier und kann keine Spezialisten ins Umland schicken, weil ihm die Fahrzeuge in den Fluten abhanden kamen. Er rechnet damit, dass sich die Hiobsbotschaften aus Bad Schandau, Pirna und Meißen noch mehren werden, wenn die Telefone endlich wieder funktionieren. Die gesamte Region wurde innerhalb von einer Woche zum Notstandsgebiet, unabhängig von Rang und Namen der betroffenen Einrichtungen. Entsprechend gleichberechtigt und verantwortungsvoll muss auch der Wiederaufbau organisiert werden. Denn der Staatsschatz lagert nicht nur in Dresden.

Infos: www.staatliche-kunstsammlungen-dresden.de