zwischen den rillen
: Latin Lovers in Sprachverwirrung: Tiziano Ferro und Marc Anthony

Italienisch für Anfänger

Können diese Augen lügen? Gut, er hat einen Fehler gemacht. Aber jetzt ist er gewillt, alles wieder geradezubiegen. „Verzeih mir“, schmachtet er auf Italienisch, als säße er bei Kai Pflaume auf dem Sofa, und setzt die Sonnenbrille ab: „Verzeih mir. Ich weiß: Was geschehen ist, ist geschehen. Aber ich bitte dich, mir zu vergeben. Gib mir ein Lächeln, und ich reiche dir eine Rose.“ Wetten, dass Sie ihm noch eine zweite Chance gibt?

Ein Sommerhit kommt selten allein. Meistens gehört ein attraktives Gesicht dazu. Im Fall von „Perdono“, das einem derzeit auf allen Kanälen entgegenschallt, gehört es Tiziano Ferro, einem 21-jährigen Debütanten aus der italienischen Stadt Latina, südlich von Rom gelegen.

Seine ersten Gesangsschritte soll Tiziano Ferro in einem Gospelchor unternommen haben, wie schon sein deutscher Kollege Xavier Naidoo, der ja auch mit einer europäischen Adaption amerikanischen R ’n’ B’s große Erfolge feiert. Anders als der fromme Sohn Mannheims aber legt Tiziano Ferro entschieden mehr Sex in seinen Soul-Pop. Doch obschon er auf dem Cover seines Albums „Rosso Relativo“ die Hand vieldeutig am Schritt hält, zählt bei ihm nicht das schnöde Leistungsdenken amerikanischer R ’n’ B-Stars, die gerne aufzählen, wie oft und wie gut sie es können – Tiziano Ferro verfolgt das altmodische Romantikprogramm, das aber mit Ausdauer: Man kann ihn sich gut vorstellen, wie er als Eisdielen-Romeo auf seiner frisierten Vespa die Küste zwischen Rimini und Riccione abfährt, auf der Suche nach der nächsten Eroberung. Mit so viel Willenskraft hat er durchaus das Zeug, bald Eros Ramazotti als Lieblingsitaliener der Deutschen abzulösen.

Noch aber muss er erst unter Beweis stellen, dass er mehr ist als nur ein Urlaubsflirt für einen Sommer. Das Schicksal vieler Saisonhelden ist es ja, nach einem einmaligen Hit wieder in der Versenkung ihrer Heimat zu verschwinden. Oder erinnert sich noch jemand an Los de Rio, zwei ältere Herren aus Spanien, die weltweit zum Macarena-Tanz aufforderten? Oder an die gesichtslose Elektro-Combo Eiffel 65, deren ebenso gesichtsloser Italo-House an Daft Punk für Arme gemahnte?

Schon im vergangenen Jahr machte Tiziano Ferro in Italien von sich Hören, Reisende brachten seine CDs von dort erstmals über die Alpen. Nun ziehen er und seine Plattenfirma nach. Um nicht schon im nächsten Jahr vergessen zu sein oder als Hintergrundsäuseln in Billigpizzerien zu enden, setzt er ganz auf sein Herzensbrecherimage. Schon der Name prädestiniert ihn für eine längerfristige Prinzenrolle: Tiziano, das erinnert an den berühmten Renaissance-Maler und klingt einfach besser als Ulf, zum Beispiel. Und natürlich klingt auch „Perdono“ viel poetischer als „Verzeih mir“, auch wenn es das Gleiche meint.

Dass man die Texte nicht versteht, wenn man kein Italienisch kann, ist ein Vorteil dieser Italo-Version slicken R ’n’ B’s, der in seiner musikalischen Machart auch von US-Koryphäen wie Dru Hill oder Montell Jordan stammen könnte. Doch so bald sich Tiziano Ferro auf Englisch versucht, wie auf den letzten Stücken der CD, zu denen auch eine „internationale“ Version von „Perdono“ zählt, klingt das eher platt. Schon, dass „Rosso Relativo“, dem Album von Tiziano Ferro, auch englische Übersetzungen beiliegen, trägt eher zur Entzauberung bei.

Das gilt auch für Marc Anthony, den derzeit best selling Salsa-Sänger – zumindest in den USA – und der ganze Stolz Puerto Ricos. Sein zweites englischsprachiges Album „Mended“ zeigt ihn, im Booklet, als freundlichen Latin Lover, auf ein Laken geräkelt oder am Steuer seines Cabrios. Der straighte Latin-Pop auf „Mended“ allerdings verhält sich, im Vergleich zum verspielten und eleganten Salsa seiner spanischen Alben, wie eine solide Mercedes-Karosse zu einem rot leuchtenden Ferrari. Auf Effizienz und Mainstreamtauglichkeit getrimmt, sind die Differenzen in Rhythmus und Sprache so weit nivelliert, dass sich die Stücke ins US-Formatradio fügen: Assimilation als Preis für den sozialen Aufstieg, das gilt auch in den US-Charts. Leider geht dabei viel Charme verloren: Die Stücke heißen „I’ve got you“ und „I need you“, und in diesem Spannungsfeld bewegen sich die meisten seiner Texte: Englisch für Anfänger eben. DANIEL BAX

Tiziano Ferro: Relativo Rosse (EMI); Marc Anthony: Mended (Sony)