Duell der Kritiker

Im Vorwort zu seinem „Buch der 1000 Bücher“ streitet Joachim Kaiser munter weiter mit Marcel Reich-Ranicki

Es ist schon unterhaltsam. Marcel Reich-Ranicki hat vor kurzem einen „Kanon“ herausgegeben, ein Paket mit 20 deutschen Romanen. Thomas Manns „Zauberberg“ zum Beispiel. Oder auch Max Frischs „Montauk“. Sicher, schreibt jetzt Kritikerkollege Joachim Kaiser in seinem „Buch der 1000 Bücher“ (Harenberg Verlag, 50 €), „Montauk“ ist eine „luzide, faszinierende“ Erzählung, nur: „Gehört sie darum bereits in einen Kanon?“ – „Stiller“? Ja. „Homo Faber“. Natürlich. Aber „Montauk“? No way.

Seit Kaiser Martin Walsers „Tod eines Kritikers“ gelobt hat, ist Reich-Ranicki auf den früheren Freund nicht gut zu sprechen, hat ihm jüngst „gesundheitliche Schwierigkeiten“ unterstellt und wird sich nun dreifach über die „Montauk“-Spitze ärgern – und vielleicht „seinen Hut fressen“, wie es in einem wichtigen Werk der Weltliteratur heißt. Ein wenig erinnert die Auseinandersetzung der beiden Herren nämlich an den ewigen Milliardärswettstreit zwischen Dagobert Duck und Klaas Klever. Nur dass es bei Reich-Ranicki und Kaiser um kulturelles Kapital geht.

Den besseren Schnitt macht der Leser sicherlich mit Kaisers „Buch der 1000 Bücher“: Anstatt sich durch 20 Romane zu arbeiten, kann er hier bei Bedarf nachschlagen, erfährt kurz und bündig, dass beispielsweise Max Frisch „der wichtigste deutschsprachige Autor der Nachkriegszeit ist“, und wird zu „Inhalt“, „Struktur“ und „Wirkung“ von „Stiller“ gebrieft. Bibel und „Kapital“ erschließen sich genauso übersichtlich. Und wenn der türkische Autor Yașar Kemal („in zahlreiche Sprachen übersetzt“) noch unter seinem Nachnamen und nicht unvermutet unter „y“ wie Yașar einsortiert worden wäre: Man wäre gar nicht erst auf die Idee gekommen, Kaisers Kanon für eurozentrisch zu halten. Ach, so – Walt Disney taucht leider nur im Personenregister auf.

KOLJA MENSING