Arbeit am Assoziationsfeld

Ein neue Referenzkultur muss her: Mit seiner CD-Reihe „Plays“ bildet der Kölner Elektronikmusiker Ekkehard Ehlers neue Interreferenzen zwischen diversen Suchenden aus Literatur, Film und Musik

So ambitioniert das CD-Konzept erscheint, Kunst für die Kunst soll es nicht sein

von ANDREAS HARTMANN

„Plötzlich – aber vielleicht vorbereitet durch langsam zur Oberfläche geschwemmtes Material – entdeckte ich, dass alle meine Versuche bisher nur eine Bewegung verrieten: zurückzufinden in frühere Schichten“. (Hubert Fichte in seinem „Versuch über die Pubertät“)

Sich erinnern und suchen. Darum geht es heute viel in der Popmusik, die geradezu davon besessen zu sein scheint, sich in ihrer eigenen Geschichte zu spiegeln. Doch Sampling als Erinnerungstechnik hat seinen einstmals innovativen Geist eingebüsst, und ist inzwischen eher ein Beleg dafür, dass Pop in der Krise steckt. Digging, das exzessive Abgrasen nach möglichst obskuren, noch unverbrauchten Samplequellen auf Plattenbörsen, ist Volkssport unter HipHop-Produzenten. Dabei geht es vor allem um den klitzekleinen Distionktionsvorsprung – die Wahl eines bestimmten Samples bedeutet nicht mehr viel mehr, als dass diese Wahl vorher eben noch von niemandem getroffen wurde. Nur noch selten passiert es, dass durch Referenzen überraschende Zusammenhänge erschlossen werden.

Es muss also eine neue Referenzkultur her – eine, der wieder alles offen steht. Für Ekkehard Ehlers ein klarer Fall: Der Frankfurter, der in diversen Inkarnationen (Auch und Betrieb, sowie die Acts März und Autopoesis) die unterschiedlichste Musik zwischen Club und Akademie produziert, sich selbst aber „eher als bildenden Künstler“ sieht, hat mit seiner Reihe „Ekkehard Ehlers plays“ das Feld der Möglichkeiten großflächig abgesteckt. Nacheinander sind von ihm in den letzten Monaten EPs erschienen, die sich ganz konkret auf Albert Ayler, Robert Johnson, Cornelius Cardew, Hubert Fichte und John Cassavetes beziehen – auf einen Freejazzer, einen Bluesmusiker und einen Improv-Avantgardisten, aber auch auf einen Schriftsteller und einen Filmemacher also. Doch was bei Ehlers nun so außerordentlich erscheint, sind nicht seine Referenzen selbst, sondern die Summe dieser Referenzen. Warum gerade diese Liste? Warum keine anderen Bezugsgrößen? Und wer war überhaupt Cornelius Cardew?

Das Serielle an seiner „Plays“-Reihe als auch der Bezug auf unterschiedliche Künstler erinnern an Konzeptkunst. Doch bei Ehlers genügt sich diese nicht selbst, sondern bleibt immer noch Musik – abstrakte elektronische Musik. Dadurch hält sich Ehlers „aus dem ganzen Galerienscheiß draußen. Ich mache meine Kunst, lande damit aber im Kölner Kompakt-Plattenladen. Das ist doch traumhaft“, erklärt er. So ambitioniert die „Plays“-Serie auch daherkommen mag, sowenig sie unter die Kategorie „Pop“ fallen mag, so nutzt sie doch die Möglichkeiten des Pop. Ehlers macht Antikunst, ist Anti-Kunstbetrieb. Seine Arbeiten sind frei zugänglich, im record store um die Ecke.

Die Schnittstelle, an der bildende Kunst und elektronische Musik aufeinandertreffen, interessiert nicht nur Ehlers: Eine ganze Phalanx von Künstlern scheint derzeit bereit, die Verschmelzung von Popkultur, Akademie und Kunstbetrieb, die sich bis vor kurzem noch auf DJ-Sets für Vernissage-Partiy beschränkte, voranzutreiben. Neu daran ist, dass ihnen inzwischen Aufmerksamkeit geschenkt wird. Was dabei Künstler wie Stephan Mathieu, Carsten Nicolai oder Ekkehard Ehlers auszeichnet, ist ihre Ambivalenz: Ihre Arbeiten bleiben möglichst unbestimmt und verharren zwischen den Disziplinen. Es geht um eine Suche: nach neuen Kontexten, Begrifflichkeiten und Bestimmungen. Ehlers hat mit seiner „Plays“-Serie deswegen an Künstler erinnert, die ebenfalls diesen Weg beschritten haben. „Alle fünf Persönlichkeiten haben versucht, etwas neu oder anders zu machen. Sie haben ihre Projekte ihr Leben lang verfolgt, auch wenn es immer wieder Brüche in ihrer Arbeit gab“, beschreibt er das Muster, das sich aus seiner Vernetzung ergibt: Alle fünf wollten ihr Leben lang irgendwo anders hin, ohne an ein Ankommen zu denken.

Der Bluesmusiker Robert Johnson etwa, der der Legende nach dem Teufel seine Seele verschrieben haben soll, um begnadeter Gitarre spielen zu können, wird vom Rock-Chronisten Greil Marcus beschrieben als einer, der immer auf Reisen war, immer auf „der Flucht vor der Heimatlosigkeit“. Auch der Stockhausen-Schüler Cornelius Cardew führte ein wechselvolles Leben: Erst war er Ende der Sechziger Mitglied der einflussreichen englischen Improv-Zirkel AMM und Scratch Orchestra. Später dann wandelte er sich zum Mao-Anhänger, der nur noch Arbeiterprotestlieder schrieb. „Er ist auf mysteriöse Weise Anfang der Achtziger bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Bis heute wird kolportiert, dass er vom englischen Geheimdienst wegen subversiver Machenschaften umgefahren worden wäre“, illustriert Ehlers. Albert Ayler wollte seine Seele mit der seiner Musik verschmelzen und benutzte dazu „die ältere Erfahrungsreligion als Schlüssel seines eigenen Suchens. Geister. Geistige Einheit. Engel“ so sein Biograf Leroi Jones. Und Hubert Fichte suchte „Pop in der Welt“, laut Ehlers, „in den Religionen, der Weltbevölkerung, am anderen Ende der Welt“. Bei Cassavetes sind es dagegen die Filme selbst, die das Sujet des Suchens behandeln. Immer wieder geht es darum, wie man in einer normierten, entfremdeten Gesellschaft sich vor allem nach einem verzehrt: nach Liebe.

Das Prinzip der Referenz in der „Plays“-Serie beschreibt Diedrich Diederichsen in den Liner Notes der CD-Reihe als „sich verbeugende Bezugnahme auf Personen und ihre Werke, auf konkrete Leben und Schicksale“. Damit wird „plays“ zu mehr als einfach nur „Spielen“ oder „Nachspielen“, sondern zu „damit Spielen“. Das Sample ist dabei nur ein Element von vielen: Robert Johnsons Stimme wurde gesampelt, von Cornelius Cardew ist viel im Original zu hören. Doch die meisten Referenzen funktionieren anders: „Bei John Cassavetes habe ich versucht, imaginäre Soundtracks zu schreiben, habe Stimmungen aus dem Film transportiert“, erläutert Ehlers, und bei Albert Ayler ging es um den Versuch, dessen „Deepness und Switchen zwischen religiösen und poetischen Zuständen“ in eine neue Form zu gießen.

Ekkehard Ehlers belehrt nicht, sondern vermittelt: Er will mit seiner Musik weniger Wissen ausstellen, als andere zum Drang nach Wissen anregen. „Ich will Topics vermitteln, damit diese für andere interessant werden. Durch meine Platten interessieren sich jetzt tatsächlich einige Leute für Cornelius Cardew“, hat er bemerkt. Dass die Sängerin Björk irgendwann mal eines ihrer Alben „plays Ekkehard Ehlers“ nennt, dagegen hätte er wohl daher nichts einzuwenden.

Ekkehard Ehlers: „Plays“ (Staubgold)