Abgerechnet wird zum Kassen-Schluss

Was passiert, wenn ein Gesundheitssystem marktwirtschaftlich zu funktionieren hat? Es gibt viele Tote. Ein politischer Krimi von John T. Lescroart

Arztromane kennt man. Sie leben vom Motiv des ärztlichen Ethos: Heilen, egal was es kostet, sei’s Nerven, sei’s Geld. Aber kennt man Krankenkassenromane? John T. Lescroart hat mit „Der Schwur“ womöglich ein ganz neues Genre begründet. Das Buch sei hier empfohlen als dringend notwendige Aufklärungslektüre zum Thema Gesundheitspolitik. Denn plastischer als in diesem Krimi ist selten dargestellt worden, was passiert, wenn ein Gesundheitssystem nach den Regeln der Marktwirtschaft zu funktionieren hat.

Schauplatz ist ein Krankenhaus in San Francisco, betrieben von der Krankenkasse, bei der die kommunalen Beschäftigten versichert sind. Der Chef der Krankenkasse wird beim Joggen überfahren und in seine eigene Klinik eingeliefert, wo er kurz darauf stirbt.

Nun haben die Stadtoberen sowieso schon ein misstrauisches Auge auf den Betrieb geworfen. Die Krankenkasse steht kurz vor der Pleite und versucht, die Stadt zu erpressen: denn wenn sie dichtmachen würde, wären auf einen Schlag alle kommunalen Angestellten nicht mehr versichert. Es stellt sich heraus, dass die Kasse aber noch einen zusätzlichen Weg aus ihrer Finanznot gefunden hat: Teure Patienten sterben hier einen verblüffend schnellen Tod …

So, genauer darf man bei der Darstellung von Krimis ja immer nicht werden, ohne die Spannung kaputtzumachen. Aber um den Mörder als Person geht es auch gar nicht. Lescroart erzählt uns: Das System ist Mord. Wenn die Krankenkassen den Krankenhäusern unmittelbar vorgeben, welche Therapie wie viel kosten darf, passiert es früher oder später, dass bei allem guten ärztlichen Willen ein Patient aus finanziellen Gründen falsch oder nicht behandelt wird. Und es gibt kaum eine Sorte Ungerechtigkeit, die sich schwerer ertragen lässt als die einer Mehr-Klassen-Medizin.

„Der Schwur“ liefert zwar fiktives, aber realistisch erzähltes Anschauungsmaterial dafür, wie mit der Gesundheitsversorgung auch die Tugenden leiden, wenn Ärzte den Kostendruck allzu deutlich spüren. Das Argument der linken Gesundheitspolitiker in Deutschland, dass mit jedem Schritt zur Privatisierung auch die „zivilisatorische Qualität“ des deutschen Solidarmodells abnehme, wirkt dadurch plötzlich sehr überzeugend.

Zwar sind die USA ohnehin kein Vorbild für eine Gesundheitsreform in Deutschland. Amerikanische Zustände will selbst die FDP hier nicht. Und auch die CDU steht hinter dem solidarisch finanzierten Krankenversicherungssystem Bismarck’scher Prägung, jedenfalls noch. Gleichwohl wird auch hierzulande überlegt, wie ein Mehr an Markt erreicht werden kann – etwa, um beim Beispiel des Krimis zu bleiben, indem man einheitliche Preise für Krankenhausbehandlungen und -operationen vorsieht und dadurch die Kliniken in ein Konkurrenzverhältnis zwingt.

Wie viel Markt das auf Umverteilung zwischen Krank und Gesund, zwischen Alt und Jung basierende deutsche Modell verträgt, ist die Leitfrage für die anstehende Gesundheitsreform. Einen kleinen Vorstoß Richtung Aufklärung haben die beiden Gesundheitssoziologen Hans-Ulrich Deppe und Wolfram Burkhardt mit ihrem Bändchen „Solidarische Gesundheitspolitik“ gemacht. Sie wollen, so der Untertitel, mögliche „Alternativen zu Privatisierung und Zwei-Klassen-Medizin“ aufzeigen.

Deutlich kann Herausgeber Deppe in seinem Beitrag darlegen, warum ein Mensch gerade als Patient nicht auf sein Dasein als homo oeconomicus reduziert werden kann: weil das Risiko von Krankheit nicht berechenbar ist, weil Kranksein mit Intimität und Unentrinnbarkeit zu tun hat, und weil ärztliches Handeln niemals nur wirtschaftlichen Kriterien unterworfen werden darf.

Was die Deutlichkeit angeht, lassen viele der anderen Beiträge leider zu wünschen übrig: Zu sehr ziehen sich hier Experten in ihren Szenejargon zurück, übersehen, dass Verständlichkeit notwendige Voraussetzung für jede politische Diskussion ist. Um die Debatte über das Gesundheitssystem der Zukunft zu den Bürgerinnen und Bürgern hin zu öffnen, bedarf es noch einiger kultureller Brückenschläge. Vielleicht fasst das Genre der Krankenkassen-Romane ja hier Fuß. Bislang sieht es aus, als wäre Marktwirtschaft krimitauglicher als das Solidarmodell. UWI

John T. Lescroart: „Der Schwur“, 520 Seiten, Heyne, München 2002, 22 €ĽHans-Ulrich Deppe/Wolfram Burkhardt: „Solidarische Gesundheitspolitik“, 200 Seiten, VSA-Verlag, Hamburg 2002, 15,50 €