Ein Himmelfahrtskommando

Unterwegs im Witwenmacher: Nach Jahren darf Kathryn Bigelow mal wieder einen groß angelegten Actionreißer drehen. Er spielt in der schwitzigen Männerhölle eines russischen U-Bootes – „K-19“

von ANDREAS BUSCHE

Kathryn Bigelow hat kein Problem damit, dass in ihren Filmen nur selten eine vernünftige Frauenfigur auftaucht. Das Genre, in dem sie arbeitet, stellt andere Anforderungen an eine Filmemacherin. Aber selbst „Blue Steel“ und „Strange Days“, in denen Jamie Lee Curtis bzw. Angela Bassett sich einigermaßen passabel durch eine Männerwelt zwischen Polizistenkodizes und Adrenalinjunkietum schlugen, waren nicht gerade die Filme, mit denen Bigelow sich als feministische Verfechterin hätte behaupten können. Und zu ihren besten gehören sie auch nicht.

Von Quotierungen hält sie im Übrigen nicht viel. Ehe man sichs versieht, findet man sich da in einer Rechtfertigungsposition wieder: im Kreuzfeuer der männlichen Filmkritik. Das hat sie gerade nach dem zweifelhaften „Strange Days“ schmerzhaft zu spüren bekommen – so schlecht wie die Kritiken hätte der Film niemals sein können. Actionfilme von Frauen, ambitionierte dazu, scheint offensichtlich noch eine Aura des Konspirativen zu umgeben. Es hat danach einige Jahre gedauert, bis Kathryn Bigelow wieder mit einem Action-Großprojekt betraut wurde. Man hätte ihr einen dankbareren Stoff gewünscht.

Zur Strafe hat man Kathryn Bigelow in die schwitzende, blaustichige Männerhölle eines russischen Atom-U-Boots gesteckt (100 Prozent XY-Chromosomen, ihre bisher beste Quote). Als müsse sie sich erst wieder ganz neu bewähren. In den klaustrophobisch engen Gängen bleibt Personal wie Regisseur naturgemäß wenig Bewegungsfreiheit. Das Sujet hat alle Hand voll Einstellungen, Charaktere, Figurenkonstellationen, Action-Szenen und politische Unkorrektheiten bereits bis zum Erbrechen durchdekliniert (die Ritualhaftigkeit erinnert an alte „Star Trek“-Episoden), man ist es wirklich leid. Harrison Ford ist auch wieder mal dabei, verdammt, und das konturlose Dutzendgesicht Liam Neeson. Manchmal ist Filmkritik wirklich ein schmutziger Job, aber einer muss ihn ja erledigen.

Ein gewisses Maß an subtiler Ironie ist „K-19“ immerhin nicht fremd. Harrison Ford, einer der Box-Office-Champions der Reagan-Ära, spielt Alexei Vostrikov, einen russischen Kommandanten zur Hochphase des Kalten Krieges. Sein Auftrag: das neu entwickelte Hightech-U-Boot „K-19“ im Atlantik in Stellung zu bringen, um den Amis die russische Nuklearmacht zu demonstrieren. Aber schon bevor das Schiff ausgelaufen ist, ist die Mannschaft durch Arbeitsunfälle empfindlich dezimiert, was der „K-19“ noch im Trockendock den Spitznamen „Widowmaker“ einbringt. Als dann bei der Schiffstaufe auch noch die Sektflasche am Rumpf abprallt, schwant selbst dem allerletzten Zuschauer Unheil. Der Rest spielt sich in den bekannten Schemata ab: 1) interne Spannungen zwischen Ford, dem ehemaligen Kommandanten Neeson und der ihm noch loyalen Crew, 2) Leck im Reaktor, 3) Gefahr eines Atomkrieges. Äußerst reizarm das alles; dass der Film auf realen Ereignissen beruht, hätte uns Warnung genug sein sollen.

Die Zeit vertreibt man sich am besten damit, in dem zu allem Überfluss mit 140 Minuten etwas zu epischen Unterwasserdrama nach den Spuren von Kathryn Bigelow zu suchen. Sie sind offensichtlich, weil es genau die Momente sind, die all ihren Filmen Bilder hinzufügen, die sie vom muskulösen Actionfilm (auch dem ihrer Kollegin Mimi Leder) unterscheiden. Wenn die „K-19“ nach einem riskanten Manöver das nordatlantische Packeis durchbrochen hat und die Mannschaft auf den Schollen ihren Fußball auspackt, dann hat dieser Ausbruch von kindlicher Unschuld etwas hinreißend Befreiendes, wie man das sonst noch aus Takeshi Kitanos Filmen kennt. Bigelow zieht sich hier mit der Kamera diskret in die Totale zurück und lässt ihre Jungs beim Spielen allein.

Genauso gut versteht Bigelow es, Distanz zu überbrücken und eine brutale Intimität entstehen zu lassen. Als Vostrikov seine Crew in Zweierteams nacheinander in den Reaktorraum schickt, um die Lecks zu schweißen (ein Himmelfahrtskommando), schafft sie mit ihrer Nähe zu den Figuren einen Horror, der jede Atom-Hysterie von Hollywood-Actionreißern übersteigt. Die Blicke der übrigen Crew-Mitglieder und ihre wachsende Panik, wenn die Teams nach zehn Minuten kotzend und schwelend aus dem Reaktorraum taumeln, sind unvergesslich. Bigelows Ton bleibt erschütternd unpathetisch. Ein amerikanischer Kritiker hat geschrieben, dass sie mit „K-19“ dem Kommunismus mitsamt seinem Scheitern (Tschernobyl, Kursk etc.) ein menschliches Antlitz verpasst habe. Na ja, so kann man das auch sagen.

„K-19“. Regie: Kathryn Bigelow. Mit Harrison Ford, Liam Neeson, Peter Sarsgaard u. a. USA 2002, 138 Min.