Westinvestor kontra CDU-Parteifilz

Der Wegerechtsstreit zwischen der sächsischen Kleinstadt Penig und einem schwäbischen Unternehmer ufert aus

„Eine zu starke Wirtschaftsmacht könnte auch den Lokalfürsten gefährlich werden“

CHEMNITZ taz ■ Der Mitteldeutsche Rundfunk hat ungewollt dafür gesorgt, dass eine Provinzposse in Chemnitz den Geschmack einer sächsischen Staatsaffäre bekommt. Der Dresdner Fernseh-Programmleiter Wolf-Dieter Jacoby beurlaubte Anfang August einen freien Mitarbeiter. Zugleich wurden sämtliche Beiträge von Christoph Lötsch storniert.

Welches Vergehens hat sich Lötsch schuldig gemacht? Der Journalist hatte in einem undurchsichtigen Streitfall zwischen einem Unternehmer und der Kleinstadt Penig bei Chemnitz recherchiert. Denn dort streitet seit fünf Jahren der zugezogene Geschäftsmann Heribert Kempen um die Zufahrtsmöglichkeit zu einem Grundstück, das er von der Stadt erwarb.

Und merkwürdig: Der zuständige Landrat Andreas Schramm (CDU) in Mittweida deckt das Verhalten des für den Verkauf verantwortlichen Peniger Bürgermeisters ebenso wie das Regierungspräsidium Chemnitz und das sächsische Innenministerium. Vermittlungsversuche hochrangiger Schlichter blieben bislang ohne Erfolg.

Als MDR-Mitarbeiter Lötsch bei dem Landrat ein Interview anmeldete, ging es ganz schnell. Programmleiter Jacoby entschuldigte sich für Lötschs Fragenkatalog beim Landrat Schramm. Der sitzt im Rundfunkrat des MDR. Fragt sich: Welche lokalen Machtgefüge reichen eigentlich bis in die Chefetagen der Dreiländeranstalt MDR?

Begonnen hatte alles mit einem roten Kreidestrich. Damit wurde die Zufahrt eines Grundstücks im sächsischen Penig, 15 Kilometer vor Chemnitz, geteilt. Außerdem teilte der Strich ein Grundstück, das die Stadt verkauft hatte – zum einen an eine Erbengemeinschaft, zum anderen an die Firmengruppe HMK des schwäbischen Bauunternehmers Heribert Kempen.

Kempen hatte dank des Strichs wenig Glück mit dem Flecken in Penig. Er besaß praktisch keine Möglichkeit, an seinen Hof heranzukommen. Die Zufahrt war zu schmal oder hätte über ein städtisches Flurstück erfolgen müssen. Tatsächlich hatte sich die Stadt im Kaufvertrag verpflichtet, die Zufahrt zu ermöglichen: Eine Zuwegung, heißt es da im Bürokratendeutsch, sei durch „Eintrag einer Baulast bzw. einer anderen Zufahrtsmöglichkeit zu schaffen“. Nichts geschah. Fünf Jahre sind seitdem vergangen.

In dieser Zeit trugen sich Irrungen und Wirrungen eines Amtsverfahrens zu, ohne dass Kempen sein Recht bekommen hätte. Wurde von der Stadt falsch vermessen? Sind die Eintragungen ins Baulastenheft im Landratsamt Mittweida falsch? Ist die Erbengemeinschaft verpflichtet, dem Nachbarn die Zufahrt zu ermöglichen? Investor Kempen interessierte das nicht mehr – er hatte das Grundstück bereits weiterverkauft.

Der neue Eigentümer wollte das Geschäft, entnervt vom Amtsschimmel, rückgängig machen. Gegen einen Rücktritt vom Kauf aber sträubte sich plötzlich Bürgermeister Thomas Eulenberger (CDU). Dieser war 1997, als die Affäre begann, noch auf Du und Du mit Kempen. Nun ließ er dessen Bürgschaft in Höhe von 185.000 Mark einziehen. Und veröffentlichte im Amtsblatt der Stadt eine Mitteilung, in der der Unternehmer als Mann ohne festen Wohnsitz und als nur bedingt zurechnungsfähig hingestellt wurde.

Kempen reichte daraufhin Dienstaufsichtsbeschwerden ein. Doch statt einer Intervention kündigte plötzlich die Sparkasse Mittweida alle Kredite für Kempen und seine HMK. Im Verwaltungsrat der Sparkasse sitzt: Landrat Schramm. Schneeballartig zogen weitere Banken nach. Die HML ging Pleite. Kempen verschickte Dienstaufsichtsbeschwerden an verschiedene Behörden. Doch weder Regierungspräsident Karl Noltze, Innenstaatssekretär Albrecht Buttulo oder der damalige Innenminister Klaus Hardraht (alle CDU) bewirkten eine Klärung und gütliche Einigung.

Inzwischen sind weitere Emissäre eingeschaltet, um die Kreidestrich-Affäre aufzuklären. Klaus Leroff, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, agiert hinter den Kulissen als Schlichter. Wolfgang Peitz, ehemaliger Arbeitgeberpräsident in Baden-Württemberg und Wirtschaftsberater in Dresden, hat die Sache mittlerweile an Ministerpräsident Georg Milbradt herangetragen. Bislang ohne Erfolg.

Der Streitwert der Schadenersatzklagen, die Kempen angestrengt hat, liegt inzwischen bei 60 Millionen Euro. „Jeden Tag wird es für den Freistaat 17.000 Euro teurer!“, sagt Wirtschaftsberater Peitz. Inzwischen melden sich Investoren, die in der Region ähnliche Erfahrungen machen mussten. Darunter auch der Ost-Unternehmer Gerald Schmidt und seine Firma GumTec, die in einem neuartigen Verfahren Altreifen recyceln will.

Welche Motive hinter dem kommunalen Starrsinn in Penig stecken? „Zunächst der klassische Ost-West-Konflikt, aber auch eine zu starke Wirtschaftsmacht, die den Lokalfürsten gefährlich werden könnte“, vermutet Kempen, der in Penig mit 170 Beschäftigten der größte Arbeitgeber war. Er hat nach angeblichen Morddrohungen weitere Behörden eingeschaltet – das Bundeskriminalamt und den Generalbundesanwalt.

MICHAEL BARTSCH