Ist der Neubau eine Atomfabrik oder eine Hundehütte?

Blair und Bush reden von Beweisen für ein neues Atomwaffenprogramm des Irak. Die Internationale Atomenergie-Organisation hat aber nur ein neues Gebäude gesichtet

BERLIN taz ■ „Ich weiß nicht, was wir noch für Beweise benötigen“, sagte der US-Präsident bei einem gemeinsamen Pressetermin mit Tony Blair in Washington, nachdem er mit dem britischen Premie Pläne für einen Krieg gegen Irak erörtert hatte. Blair hatte zuvor auf einen Zeitungsbericht verwiesen, wonach die Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) Bauaktivitäten an einer ehemaligen Atomwaffenanlage im Irak beobachtet hat.

„Wir brauchen nur auf den Bericht der IAEO zu schauen, der zeigt was an den ehemaligen Atomwaffenarealen passiert“, sagte Blair nach dem Gespräch mit Bush. Die Bedeutung des Berichts der IAEO liege darin, dass er auf die „wahre Herausforderung“ verweise, der man sich nun stellen müsse. Bagdad entwickele nicht nur chemische und biologische Waffen, es besitze auch die Fähigkeit zum Bau von Atomwaffen.

Die Gefahr der Herstellung von ABC-Waffen sei eine Herausforderung für die „gesamte internationale Gemeinschaft“.

Bei der IAEO in Wien konnte man die weitreichende Interpretation des Zeitungsberichts nicht nachvollziehen. „Wir haben keine Beweise für irgendwelche atomaren Aktivitäten des Irak“, sagte ein Sprecher der UN-Sonderorganisation gestern der taz.

Die Information basiere auf der Auswertung einer kommerziellen Satellitenaufnahme durch die IAEO, die Präsenz eines neuen Gebäudes stelle aber überhaupt keinen Beleg für irgendetwas dar. „Es könnte eine Atomanlage sein, aber auch eine Hundehütte“, sagte der Sprecher weiter. Nur durch eine Wiederaufnahme von Inspektionen wäre die IAEO in der Lage, daraus Schlussfolgerungen für das zu ziehen, was sich auf dem Boden abspielt.

Die neuen Spekulationen über ein irakisches Atomwaffenprogramm erinnern an die Zeit vor dem Golfkrieg 1991. Nach der Invasion des Irak in Kuwait war die Unterstützung für einen Krieg in der US-Bevölkerung und vor allem im Kongress zunächst weit geringer als heute. Die Regierung von George Bush senior stellte daraufhin in der Öffentlichkeit die Verhinderung einer irakischen Atombombe als Kriegsziel in den Vordergrund. Die geschätzten Vorlaufzeiten in den regierungsamtlichen Verlautbarungen über den Status des Programms verkürzten sich daraufhin dramatisch. Die Schätzungen regierungsunabhängiger Beobachter in den USA schwankten damals zwischen wenigen Monaten und mehreren Jahren.

Während Präsident Bush nach dem Treffen mit Blair zu suggerieren schien, der Irak könne nur wenige Monate vom Bau einer Atombombe entfernt sein, hält sich sein Außenminister mit Spekulationen zurück. Colin Powell, während des Golfkriegs 1991 Stabschef der US-Streitkräfte, wollte sich am Wochenende nicht öffentlich festlegen, wie er das angebliche irakische Atomwaffenprogramm einschätzt. Man könne darüber debattiereen, ob der Irak „ein Jahr, fünf Jahre, sechs Jahre oder neun Jahre“ brauchen werde, um eine Atombombe zu entwickeln, sagte Powell in einem Interview mit der BBC. Powell beschränkte sich auf den unverfänglichen Hinweis, die Herrschenden in Bagdad würden „immer noch nach dieser Technologie streben“. ERIC CHAUVISTRÉ